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Verheißene Erde

Verheißene Erde

Titel: Verheißene Erde
Autoren: James A. Michener
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galoppiert meine Freude dahin.
    Aber er dämpfte seine Begeisterung, indem er seinen Sohn warnte: »Du hast es mit deinen Farben gefaßt. Jetzt mußt du es auch mit deinen Pfeilen fassen.«
    Warum gaben sich die San, die >Buschmänner<, wie man sie später nennen sollte, so viel Mühe, die Tiere abzubilden, die sie als Nahrung jagten? War es, um die Seele des Tieres zu befreien, damit es sich wieder fortpflanzen konnte? Oder war es eine Art Sühne für die Schuld, die sie durch das Töten auf sich geladen hatten? Oder eine Darstellung des Tieres als Gott? Es läßt sich unmöglich feststellen; wir wissen nur, daß an
    Tausenden von Stellen in ganz Südafrika diese Jäger die Tiere mit einer Liebe malten, die nie übertroffen werden sollte. Wer immer Gaos Nashorn sah, würde fühlen, wie sein Herz vor Freude hüpfte, denn dieses Tier lebte. Es stellte eine der reinsten Formen von Kunst dar, die der Mensch je zustande bringen sollte, und sie kam in den Stunden des Erwachens menschlicher Zivilisation. Es war ein ursprüngliches Produkt menschlicher Phantasie aus einer Zeit, in der künstlerischer Ausdruck höchster Qualität so natürlich und notwendig war wie die Jagd.
    Aber man muß auch Gumstos Theorie darüber ernst nehmen. Er forderte jeden seiner Jäger auf, neben das Feuer zu treten und das Nashorn über die linke Schulter hinweg anzublicken: »Das muß uns Glück bringen.« Er wußte, daß Kunst eine vielbenötigte magische Kraft beinhaltete. Im Jahr 1981 würden Fachleute aus anderen Kontinenten von diesem Nashorn hören, kommen und ehrfürchtig die Fähigkeit des Künstlers bewundern, der es gemalt hatte. Ein Kritiker, der Lascaux und Altamira gut kannte, würde in seinem Bericht schreiben:
    Dieses herrliche Nashorn, das von einem unbekannten Buschmann gemalt wurde, ist allem ebenbürtig, was die Kunst heute hervorbringt. Glücklicherweise machte jemand ein Feuer in der Höhle, so daß es uns möglich ist, seine Entstehung nach der Radiokarbonmethode auf 13000 Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückzudatieren; wir können uns nur wundern über die hervorragende Qualität der Farben, die viel besser zu sein scheinen als die heute verwendeten. Aber die Vortrefflichkeit des Werkes liegt in der Kraft, mit der das Tier abgebildet ist. Es ist real. Es flieht vor wirklichen Jägern, die wir nicht sehen. Es hält seinen Kopf hoch in der Freude des Sieges. Aber da ist noch mehr. Es ist ein Symbol für alle Tiere, die durch die Augen eines Menschen gesehen wurden, der sie liebte. Und mit diesem wilden, lebensfrohen Nashorn galoppieren wir in Welten, die wir sonst vielleicht nie kennengelernt hätten.
    Da die San nie wissen konnten, wann sie wieder die Möglichkeit haben würden, ein Tier zu erlegen, stopften sie sich über alle Maßen voll, wenn sie eines überwältigt hatten -sie aßen, schliefen, aßen, verfielen in Benommenheit, aßen weiter.
    Danach ging eine erstaunliche Verwandlung vor sich: Die tiefen Falten, die ihre Körper entstellten, verschwanden allmählich, ihre Haut wurde wieder weich und glatt, und sogar alte zweiunddreißigjährige Frauen wie Kharu gewannen die Schönheit früherer Jahre wieder. Als Gumsto das sah, dachte er: Sie ist so schön, wie ich sie in Erinnerung habe. Doch dann sah er Naoka, die aufreizend in der Sonne lag, und da kamen ihm passendere Gedanken: Aber Naoka wird morgen genauso wunderschön aussehen. Nachdem die Elenantilope verzehrt war, sagte Gumsto: »Morgen früh brechen wir auf.« Er stand die ganze Nacht am Ufer des Sees, an dem sich seine Leute so wohl gefühlt hatten, beobachtete die Tiere, wie sie kamen und gingen, und freute sich, wenn Zebras und Antilopen nah beieinander standen, jedes bei seiner eigenen Herde, und alle einer allgemeinen Disziplin gehorchten, die es ihnen ermöglichte, die Angriffe der unablässig lauernden Löwen zu überleben.
    Im Morgengrauen erhob sich am anderen Seeufer eine Schar rosa Flamingos, so, als ob sie die Wanderer zum Aufbruch mahnen wollte. Die Vögel flogen in ausladenden Bögen über den Himmel, machten kehrt und kamen in schön gewundenen Spiralen wieder zurück. Mehr als zwanzigmal legten sie die Strecke zurück, wie das Schiffchen in einem Webstuhl, auf dem ein rosagoldener Stoff entsteht. Oft stießen sie hinunter, so als wollten sie landen, nur um plötzlich wieder aufzusteigen und graziöse Muster in ihren Wandteppich zu zeichnen. Die hellrosa Kreise an ihren Flügeln erfüllten die Luft mit ihrer lebhaften Farbe, ihre langen roten
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