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Verheißene Erde

Verheißene Erde

Titel: Verheißene Erde
Autoren: James A. Michener
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einssechsundvierzig groß, mit gelblichbrauner Haut, mager und am ganzen Körper sehr runzlig. Sein Gesicht glich der Landkarte einer sehr alten Wasserscheide, die von den Fährten von tausend Tieren gezeichnet war. Wenn er lächelte und seine kleinen weißen Zähne zeigte, schnitten seine Falten noch tiefer in sein Gesicht und ließen ihn aussehen, als wäre er über neunzig. Er war dreiundvierzig, und seine Falten hatte er seit seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr; sie waren das Kennzeichen seines Volkes.
    Die Sippe, für die er verantwortlich war, bestand aus fünfundzwanzig Personen; mehr zu ernähren, hätte sich als schwierig erwiesen, weniger wären für Überfälle von Tieren zu anfällig gewesen. Sie bestand aus ihm selbst als Anführer, seiner robusten alten Frau Kharu, ihrer beider sechzehnjährigem Sohn Gao sowie verschiedenen Männern und Frauen unterschiedlicher Altersstufen und Verwandtschaftsbeziehungen. Die Sicherheit seiner Sippe war seine fixe Idee, aber manchmal ließ er sich ablenken. Wenn er nach oben blickte, um die Sonne zu begrüßen, wie er es jeden Morgen tat, denn sie war die Lebensspenderin, sah er die zwei runden Hügel, genau wie zwei Frauenbrüste, und da dachte er nicht an die Sicherheit seiner Sippe, sondern an Naoka.
    Sie war siebzehn und Witwe geworden, als das Nashorn, das jetzt am See trank, ihren jagenden Mann getötet hatte. Bald würde sie wieder einen Mann nehmen dürfen, und Gumsto blickte sie verlangend an. Ihm war klar, daß seine Frau von seiner Leidenschaft wußte, aber er hatte verschiedene Pläne, um ihren Widerstand zu umgehen. Naoka mußte sein werden. Das war nur gerecht, denn er war der Anführer.
    Seine Aufmerksamkeit wurde durch das Donnern von Hufen abgelenkt. Wachsame Zebras hatten die beiden Löwinnen entdeckt und den Rückzug eingeleitet. Wie ein Schwarm prächtig gefärbter Vögel jagten die schwarzweißen Tiere über das sandige Seeufer nach oben, um sich in Sicherheit zu bringen.
    Der Hengst, der sich abseits der Herde gehalten hatte, verlor nun seinen Schutz, und die Löwinnen schnitten ihn, ihrem Plan gemäß, von den anderen ab. Es gab eine wilde Verfolgungsjagd. Ein Sprung auf das Hinterteil des Zebras, ein kläglicher Schrei, eine Pranke schlug mit scharfen Krallen auf die Luftröhre. Das schöne Tier wälzte sich im Sand, die Löwinnen hielten es fest. Gumsto, der jede Phase des Angriffs beobachtete, murmelte: »Das passiert, wenn man die Sippe verläßt.«
    Er rührte sich    nicht,    während sieben andere    Löwen
    herankamen, um    an der    Beute teilzuhaben.    Sie    wurden
    begleitet von einer Anzahl Hyänen, die auf die Knochen warteten, die sie dann mit ihren gewaltigen Kiefern knacken würden, um sich das Mark zu sichern. Hoch oben sammelte sich ein Geierschwarm, um sich seinen Anteil zu holen, wenn die anderen fort    waren,    und während diese    Fleisch- und
    Aasfresser ihrem Geschäft    nachgingen, befaßte    sich    Gumsto
    mit dem seinen.
    Seine unmittelbare Verpflichtung bestand darin, seine Sippe zu ernähren. Heute würde er dieses Nashorn überfallen, es töten oder von ihm getötet werden. Er wollte seinen Leuten ein üppiges Mahl verschaffen und dann mit ihnen an einen besseren Ort ziehen. Während er diesen grundlegenden Entschluß faßte, verzog sich sein kleines braunes Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln, denn er war Optimist: Es würde bestimmt einen besseren Ort geben.
    Er verließ den sterbenden See und ging zur Wohnstätte seiner Sippe, die eigentlich nur ein Rastplatz unter niedrigen Bäumen war. Der Wohnbereich jeder Familie war durch Stöcke und einige aufeinandergeschichtete Steine abgegrenzt. Es gab weder Häuser, Wände, Schuppen noch Pfade oder Schutzräume außer einem Flechtwerk ineinandergreifender Schößlinge, die grob mit Gras bedeckt waren. Der Wohnraum einer jeden Familie bot gerade genug Platz, daß die Mitglieder in flachen, dem Körper angepaßten Gruben liegen konnten. Die wenigen Habseligkeiten waren in Jahrhunderten der Wanderschaft sorgfältig ausgewählt worden; sie waren unentbehrlich und wurden liebevoll gehegt: Lendentücher und Fellmäntel für alle, Pfeile und Bogen für die Männer, Körperpuder und kleine Schmucksachen für die Frauen.
    Gumstos Familie hatte ihren Schutzraum am Fuß eines Baumes, und als er sich mit dem Rücken zum Stamm aufgestellt hatte, verkündete er entschlossen: »Die Antilopen gehen fort. Das Wasser ist zu faulig, um es
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