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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht
Autoren: Karin Slaughter
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durchgemacht und wüsste, wovon du redest.«
    Sie sah ihn wieder an, und noch immer blieb er stumm. Im Rhythmus der Pumpe, die ihn zu atmen zwang, hob und senkte sich sein Brustkorb. Der Herzmonitor gab Pieptöne von sich.
    » Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde«, flüsterte sie. » Ich dachte, ich könnte stark sein…« Wieder hörte sie zu sprechen auf. » Du hattest aber Recht. Ich war ein Feigling. Ich bin ein Feigling.«
    Lena atmete tief ein und hielt die Luft an, bis ihre Lungen zu bersten drohten. Sie hatte das Gefühl, der Raum würde immer kleiner und beklemmender, und dann war sie plötzlich wieder an jenem dunklen Ort, an den Boden gefesselt, und auch er war irgendwo im Haus, nahm aber keine Notiz von ihr. Am schlimmsten war es immer dann gewesen, wenn die Wirkung der Drogen nachgelassen hatte und ihr bewusst geworden war, wo sie war, und was ihr angetan wurde, und dass sie absolut machtlos war. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als wenn jemand ihn ausgehöhlt und dann mit flüssig-schwarzem Gift gefüllt hätte. Wenn sie an diesen Ort gelangte, diesen nackten, von allem entkleideten Ort, wurde das Licht unter der Tür zu ihrer Erlösung, und sie stellte fest, dass sie den Mann sehen wollte, dass sie seine Stimme hören wollte, koste es, was es wolle.
    » Ich hatte solche Angst«, sagte sie zu Mark. » Ich wusste nicht, wo ich war oder wie viel Zeit vergangen war oder was überhaupt los war.«
    Sie spürte, dass sich ihr die Kehle zuschnürte, weil die Erinnerung so übermächtig wurde. » Er hat mich auf den Fußboden genagelt«, fuhr sie fort, obwohl er das bestimmt bereits wusste. » Er hat mich festgenagelt, und ich konnte nicht weg. Mir blieb keine Wahl. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten und ihn mit mir machen zu lassen, was er wollte.«
    Lena atmete jetzt keuchend, und sie merkte, dass sie zurückkehrte in jenen Raum, in die Falle und die Hilflosigkeit. » Die Drogen…«, sagte sie, unterbrach sich aber sofort. Mark hatte offenbar auch zu Drogen gegriffen, um seinen Schmerz zu betäuben. Nur, dass Lena keine Wahl gehabt hatte, was sie wann nehmen würde.
    » Er hat mir diese Drogen eingeflößt«, sagte sie. » Sie gaben mir das Gefühl…« Wieder suchte sie nach den passenden Worten. » Frei zu sein«, sagte sie. » Als ob ich schwebte, als ob ich über allem schwebte. Und Greg, mein Freund– Exfreund–, war auch da.« Sie unterbrach sich wieder und dachte an den Greg aus ihren Drogenträumen, nicht den Greg, den sie tatsächlich gekannt hatte. In ihren Träumen war Greg viel selbstsicherer, wusste ihren Liebesakt besser zu dominieren. In diesen Träumen trieb er sie voran, trieb sie bis an jene Grenze, wo sie nicht mehr unterscheiden konnte zwischen Schmerz und Lust und auch nicht mehr unterscheiden wollte. Wenn sie sich in diesem Zustand befand, begehrte sie nur, dass er in ihr war, dass er sie berührte, dass er sie ganz ausfüllte und immer noch tiefer in sie hineinstieß, bis sie zu explodieren glaubte. Wenn er sie bis an diesen Punkt gebracht hatte, war die Erlösung beinahe ätherisch. Sie hatte in ihrem Leben noch nie solche Wonnen erlebt wie die, wenn ihr Körper sich ihm vollständig öffnete.
    Sie sagte zu Mark: » Greg war nie so gewesen. Das wusste ich. Das sagte mir mein Kopf.« Sie drückte Marks Hand. » Ich ahnte es irgendwo, aber es war mir egal. Ich wollte mit ihm zusammen sein. Ich wollte ihn spüren.«
    Sie schlug sich die Hand vor den Mund, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. » Dann verloren die Drogen langsam ihre Wirkung«, sagte sie mit dem Gefühl, als spräche sie über jemand Fremden. » Und dann begann ich, konkrete Dinge zu spüren. Ich merkte ganz langsam, was geschehen war und was geschah. Mir wurde bewusst, wer ich wirklich war.« Sie schluckte schwer. » Was ich mit ihm getan hatte.« Vor Ekel drehte sich Lena der Magen um. » Die Laute, die ich von mir gegeben hatte«, flüsterte sie und erinnerte sich jetzt an sie, wusste wieder, mit welchen Worten sie ihm geantwortet hatte, wie sie ihn angefleht hatte, so wie sie flehentlich einen Liebhaber bitten würde.
    Sie ließ die Hand auf die Brust sinken und fühlte ihr Herz schlagen. » Und dann habe ich geweint«, sagte sie, und die Tränen liefen ihr übers Gesicht. » Ich habe geweint, weil ich mich so vor mir selbst geekelt habe, und ich habe geweint, weil ich mich so allein fühlte.« Sie wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. » Ich weinte, weil ich nicht allein
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