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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht
Autoren: Karin Slaughter
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gutgetan hatte, als sie im Krankenhaus gewesen war, betupfte sie ihm mit dem gefalteten Waschlappen Gesicht und Hals. Auch seine Arme wischte sie ab. Als Nächstes nahm sie eine Flasche mit Lotion aus dem noch ungeöffneten Pflegeset für Patienten, das auf einem Ständer neben dem Bett lag. Sie wärmte die Lotion in den Händen, bevor sie ihm Arme und Hals einrieb. Zum Schluss befeuchtete sie auch noch sein Gesicht damit. Lena war nicht sicher, hatte aber das Gefühl, dass er danach schon wieder etwas mehr Farbe hatte.
    » Sieht so aus, als würden sie dich hier gut behandeln«, sagte Lena, obwohl sie sich fragte, ob das stimmte. » Ich, äh…«, fing sie an, hielt aber gleich wieder inne. Sie sah zur Tür und kam sich albern vor, weil sie mit Mark redete, obwohl er sie gar nicht hören konnte. Kaum weniger blöd als Hank, der mit Sibyls Grab sprach.
    Aber trotzdem nahm sie die Hand des Jungen. » Lacey geht es gut«, sagte sie. » Na ja, zumindest ist sie wieder da. Man hat sie in Macon gefunden, und sie ist…«
    Lena sah sich im Zimmer um. So recht wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.
    » Das Postamt wird überwacht«, erzählte sie. » Der Chief glaubt, dass Dottie bald auftauchen wird.« Lena atmete tief durch und hielt die Luft einen Augenblick an, bevor sie weiterredete. » Wir werden sie schnappen, Mark. Sie wird nicht davonkommen.«
    Sie schwieg und hörte auf den Rhythmus des Beatmungsgeräts, das Luft in seine Lungen presste und wieder heraussog. Natürlich antwortete Mark ihr nicht, und wieder kam sie sich albern vor. Warum tat Hank dasselbe mit Sibyl? Was erreichte er damit, dass er ihr Dinge erzählte? Es war doch, als spräche man in den Wind. Es war eigentlich nicht anders, als spräche man mit sich selbst.
    Lena lachte, als ihr klar wurde, dass Hank es ebendarum tat. Mit jemandem zu sprechen, der einem nicht antworten konnte, der weder Anteilnahme noch Ablehnung, noch Wut oder Hass äußern konnte, bedeutete uneingeschränkte Freiheit. Man konnte alles sagen, was man wollte, ohne Widerspruch fürchten zu müssen.
    » Ich bin nicht sicher, ob ich Cop bleiben kann«, beichtete sie Mark und kam sich ein wenig leichtsinnig vor, als sie das laut aussprach. Sie hatte seit einer ganzen Weile mit diesem Gedanken gespielt wie mit einer Murmel, die man durch ein Labyrinth rollen lässt, aber wirklich akzeptiert hatte sie diese Möglichkeit nicht. Bis jetzt.
    » In ein paar Tagen hab ich ein Gespräch mit meinem Boss.« Sie hielt inne und betrachtete die Tätowierung auf Marks Hand. Sie fragte sich, was sie wohl tun könnte, um sie entfernen zu lassen. Es gab Methoden, Tattoos zu entfernen. Das hatte sie zufällig einmal im Fernsehen gesehen.
    » Ich weiß nicht, was ich Jeffrey sagen soll«, gestand sie und kam sich immer noch albern dabei vor. » Ich habe mit Hank gesprochen, und ich weiß, dass ich auch zu ihm nach Reece ziehen könnte.« Sie unterbrach sich. » Aber ich weiß nicht so recht.«
    Lena bemerkte, dass seine Decke verrutscht war. Sie ging ums Bett herum und schob sie wieder zurecht. Sie strich den Stoff glatt und sagte: » Na ja, jedenfalls will ich Sibyl nicht hier allein lassen. Ich weiß, sie hat Nan, die sich um sie kümmert, aber trotzdem…«
    Lena ging im Zimmer umher und überlegte, was sie noch sagen sollte. Der Klang ihrer Stimme im Zimmer machte sie befangen, aber es tat sehr gut, diese Dinge zu sagen, die Worte auszusprechen, die ihr schon so lange völlig ungeordnet durch den Kopf gingen.
    Der Stuhl schurrte über den Boden, als sie ihn ans Bett schob. Sie setzte sich und nahm wieder Marks Hand. » Ich wollte dir sagen…«, begann sie, konnte aber nicht weiterreden. Schließlich zwang sie sich dazu: » Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut, wie ich reagiert habe, als du mir erzählt hast, was los war…« Sie hielt inne, als erwartete sie eine Antwort, und ergänzte dann: » Zwischen dir und deiner Mutter.«
    Lena sah ihm ins Gesicht und überlegte, ob er sie wohl hören konnte.
    Sie fuhr fort: » Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich das verstehe. Ich meine, ich verstehe das so gut, wie ich eben kann.« Sie schüttelte den Kopf. » Ich meine…«, fing sie an, hielt aber auch gleich wieder inne. » Ich weiß, was es dich gekostet hat, Mark. Ich weiß, was es dich gekostet hat, mir dein Geheimnis zu erzählen.« Sie machte eine Denkpause, erinnerte sich daran, zwischendurch zu atmen. » Du hattest ja Recht, als du sagtest, ich hätte dasselbe
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