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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht
Autoren: Karin Slaughter
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Nasenspitze ansehen.«
    Lena konnte die Entschuldigung gut annehmen. » Brad ist ein Cop, und er hat es auch nicht geahnt«, sagte sie, aber wenn Hank ihren Kollegen Brad gekannt hätte, wüsste er, dass ihre Worte kein großer Trost waren.
    Hank stopfte das Taschentuch wieder in die Hose. Er ließ die Hände sinken und berührte dabei für einen Sekundenbruchteil ihren Handrücken. Wie Lena schwitzte auch er, und sie spürte die Hitze, die von seiner Haut ausstrahlte.
    Nach einer Weile sagte er: » Du weißt, wenn du mich brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen, okay? Du weißt, ich bin für dich da.«
    Lena lächelte, und diesmal spürte und wusste sie es wirklich. » Ja, Hank«, sagte sie. » Das weiß ich.«
    Lena ging durch das Hospiz und versuchte, durch den Mund zu atmen, damit der Gestank sie nicht überwältigte. In diesem Gebäude herrschte ein beißender Geruch, der sie an Pisse und Alkohol erinnerte. Irgendwie also auch an Hanks Bar.
    Sie drückte den Fahrstuhlknopf, und während er langsam in den zweiten Stock zuckelte, packte sie die Klaustrophobie. Mit einer Hand fuhr sie sich über den Nacken. Nach dem Lauf mit Hank hatte sie zwar ausgiebig geduscht, aber bei der Hitze schwitzte sie schon wieder.
    Sie seufzte erleichtert, als die Tür aufging und ihr kein Uringeruch in die Nase stieg. Die meisten Patienten auf Marks Etage hatten Katheter und wurden in saubererem Zustand gehalten als ihre etwas aktiveren Kollegen auf den unteren Etagen. Deswegen war der Gestank hier oben auszuhalten.
    Sie trat auf den Flur und blickte aus dem Fenster der gegenüberliegenden Wand. Die Wolken waren dunkel und schwer. Allem Anschein nach würde es sehr bald regnen. Sie fühlte sich an jenen Morgen erinnert, an dem Grace Patterson gestorben war, und daran, wie sie hinter dem schlafenden Teddy Patterson gestanden und den Sonnenaufgang betrachtet hatte. Dabei hatte sie den Gedanken ausgekostet, dass die frevelhafte Frau, die sterbend vor ihr im Bett lag, nie wieder in der Lage sein würde, die Sonne auf dem Gesicht zu spüren. Lena hatte ihre Entscheidung, Grace Patterson nicht friedlich sterben zu lassen, nie hinterfragt. Sie wusste einfach, dass sie richtig gehandelt hatte.
    » Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Frau, als Lena an der Schwesternstation vorbeiging.
    » Ich suche das Zimmer von Mark Patterson«, sagte sie.
    » Oh«, sagte die Frau verblüfft. » Der hat noch gar keinen Besuch bekommen.«
    Lena hätte sich denken können, dass Teddy Patterson seinen Sohn nicht sehen wollte, aber trotzdem war sie verwundert. Und obwohl sie die Antwort kannte, musste sie doch fragen: » Hat er das Bewusstsein wiedererlangt?«
    Die Frau schüttelte den Kopf, sagte » nein« und deutete den Korridor hinunter. » Drei-zehn«, sagte sie zu Lena. » Rechts, links und dann gegenüber der Wäschekammer.«
    Lena bedankte sich und folgte der Richtungsangabe. Auf dem Weg strich sie mit den Fingern über das Geländer im Korridor und ließ sich absichtlich Zeit. Es gab für sie nicht den geringsten Anlass, Mark zu besuchen. Sie arbeitete nicht an dem Fall. Verdammt, sie wusste ja nicht einmal, ob sie noch zu den Cops gehörte.
    Obwohl Mark sie nicht auffordern konnte einzutreten, klopfte Lena an die Tür mit der Zahl 310. Sie wartete einen Moment und stieß sie dann auf. Die Lampen brannten nicht, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Jalousie aufzumachen, um Licht hereinzulassen. Mark lag in seinem Bett, von Schläuchen umgeben, die in ihn hineinführten und auch wieder heraus, und sah blasser aus, als sie ihn je gesehen hatte. Maschinen summten und pulsierten leise im Hintergrund, und ein Beutel voll Urin hing an dem Gitter, das rund um sein Bett lief. Der Raum war karg möbliert und seelenlos. Auf dem Nachttisch standen keine Blumen, und ein einsamer Stuhl war an die Wand geschoben worden. Der Fernseher war abgeschaltet, die dunkle Mattscheibe sah beinahe unheimlich aus.
    » Lassen wir ein wenig Licht herein«, sagte Lena, da sie ohnehin nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Sie drehte den Stab an der Jalousie, um die Lamellen zu öffnen. Gleißendes Licht ergoss sich ins Zimmer. Sie wandte sich wieder Mark zu und stellte die Jalousie so ein, dass er nicht das volle Sonnenlicht abbekam.
    An dem Schlauch, der in seinen Mund führte und ihm beim Atmen half, hatte sich Speichel abgesetzt. Lena ging ins Bad und feuchtete einen Waschlappen mit warmem Wasser an. Damit wischte sie dem Jungen den Mund ab. Und weil es ihr so
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