Verführerische Maskerade
unwiderstehlich machte. Es musste daran liegen, dass er es offenbar gewohnt war, jeglichen Widerstand im Handstreich aus dem Weg zu räumen. Wenn Livia sich drangsaliert gefühlt hätte, hätte sie bestimmt anders auf ihn reagiert; aber aus unbegreiflichen Gründen fühlte sie sich nicht drangsaliert.
»Dann verzeihen Sie mir?«, wollte er wissen und berührte ihre behandschuhte Hand. »Bitte, Livia, seien Sie mir nicht böse.« Er lächelte gewinnend. »Außerdem wissen Sie doch, dass dieses Tier sich ohne meine Ermutigung niemals in Bewegung gesetzt hätte. Vergeben Sie mir?«
Livia antwortete nicht, sondern schaute über ihre Schulter nach hinten. »Scheint so, als hätten wir mit unserem rasanten Galopp den Burschen abgehängt.«
»Von rasantem Galopp kann keine Rede sein.«
Livia zuckte die Schultern. »Von leichtem Galopp auch nicht. Ich muss zurück zu Lady Devries, bevor sie ein Suchkommando auf den Weg schickt.« Sie wendete ihr Pferd und verabschiedete sich mit erhobener Reitgerte. »Ich wünsche einen angenehmen Tag, Prinz Prokov.«
»Gestatten Sie, dass ich Sie zu Ihrer Freundin begleite. Ich möchte den Schaden wieder gutmachen«, bat er und fiel in einen langsamen Schritt neben sie. »Und es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir erlauben würden, Sie nach Hause zu begleiten. Nur mit einem Burschen, der noch dazu aus einem Mietstall stammt … das ist wohl keine angemessene Begleitung für einen Ritt durch die Straßen Londons. Es könnte sein, dass Ihr Pferd sich erschreckt und durchgeht.«
Es reichte. Livia platzte beinahe vor Gelächter, und Alex beobachtete sie wohlwollend. Aber diesmal war er klug genug, seine Zunge im Zaum zu halten und sich weitere Komplimente zu verkneifen. Sie dankte es ihm, indem sie seine Gesellschaft schweigend duldete, bis sie bei den anderen angekommen waren.
»Wo seid ihr gewesen?«, fragte Lilly vorwurfsvoll. »Livia, im Park solltest du niemals galoppieren.«
»Lady Livias Pferd ist mit ihr durchgegangen«, erklärte der Prinz mit ernster Miene. »Sie war nicht in der Lage, es zu zügeln. Ich habe ihr geholfen.«
»Wirklich?« Zweifelnd ließ Lilly den Blick über den Wallach schweifen. »Dabei sieht er gar nicht danach aus, als hätte er Feuer im Blut.«
»Hat er auch nicht«, bestätigte Livia, »der Prinz hält sich für amüsant.« Sie schenkte ihm ein kühles Lächeln. »Ein unglückliches Missverständnis. Es könnte sein, dass er den englischen Humor noch nicht begriffen hat.«
»Touché«, murmelte er spöttisch und griff sich an die Brust wie ein Fechter nach einem Hieb.
»Es ist ja nichts passiert«, meinte der Colonel herzlich, »sollen wir weiterreiten?«
»Nein. Ich muss zurück zum Cavendish Square«, lehnte Livia ab, »Lady Farnham ist heute früh von ihrer Reise aufs Land zurückgekehrt. Ich möchte ihr Gesellschaft leisten.«
»Dann sollten wir sofort aufbrechen«, fügte Alex hinzu, »Sie dürfen die Lady keine Minute länger warten lassen.« Er griff nach dem Zaumzeug des Wallachs und wollte ihn auf den Pfad drehen. Livias Gerte schnellte durch die Luft und klatschte ihm auf den behandschuhten Handrücken.
Alex stöhnte kaum hörbar auf, zuckte zurück und fing ihren stechenden Blick auf. »Vielen Dank für die Hilfe, Sir«, verkündete sie mit trügerischer Höflichkeit, »Sie sind wirklich ausgesprochen freundlich. Aber ich fürchte, ich muss Ihr Angebot ablehnen. Wenn Sie bitte bei Ihren Freunden bleiben wollen.« Sie verabschiedete sich und ritt mit dem Burschen zurück zum Stanhope Gate.
Alex gönnte ihr ein paar Minuten, verabschiedete sich dann ebenfalls und galoppierte ihr nach. Noch bevor sie am Tor angekommen war, hatte er sie eingeholt, doch diesmal schenkte sie seiner Gegenwart keinerlei Beachtung. Nach langem Schweigen ergriff er das Wort. »Ich war einem schweren Irrtum erlegen. Würden Sie mir auch den verzeihen?«
Am Piccadilly schaute sie ihn gnädig an. »Für wen halten Sie sich eigentlich?« Die Frage klang eher irritiert als empört. »Ich kenne Sie kaum. Und trotzdem benehmen Sie sich, als hätten Sie ein Recht … als würden wir uns von Kindesbeinen an kennen. So ungefähr jedenfalls.«
Er zuckte spöttisch die Schultern. »Oh, nein … es hat nichts mit einer unschuldigen Sandkastenliebe zu tun … das würde ganz und gar nicht zu mir passen.«
»Zu mir auch nicht«, erwiderte Livia unwillkürlich. Und warum plauderst du dann jetzt wie selbstverständlich mit ihm, als würdest du ihn schon seit Monaten kennen?
Weitere Kostenlose Bücher