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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau!
Autoren: Christopher Moore
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zu der Frau lief, dann vor ihr stehen blieb, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Sie strahlte, als sie ihn erkannte, dann ließ sie ihren Sonnenschirm sinken und schlang die Arme um seinen Hals, fiel fast über ihn her, als sie ihn küsste.
    Der Kellner, der aus der Küche gekommen war, weil er die Tür gehört hatte, gesellte sich zu Henri ans Fenster.
    » Oh, là, là, Ihr Freund hat einen echten Fang gemacht, Monsieur.«
    » Und ich fürchte, es dürfte bald schwierig werden, noch weiterhin mit ihm befreundet zu sein.«
    » Ah, bekommt er vielleicht Konkurrenz?« Der Kellner deutete auf die gegenüberliegende Seite des Boulevards, wo ein kleiner, verwachsener Mann mit braunem Anzug und Melone zwischen den Kutschen und Passanten hindurchspähte und Lucien und das Mädchen beobachtete, ein Funkeln in den Augen, das für Henri nach Verlangen aussah.

3
    Die ringenden Hunde vom Montmartre, Paris
    1873

    L ucien Lessard war zehn Jahre alt, als das heilige Blau ihn zum ersten Mal verzauberte. Im Grunde handelte es sich um eine eher geringfügige Verzauberung, doch auch der Sturm, der ein Königreich verwüstet, beginnt mit einem ersten Regentropfen, und später erinnert man sich nur noch an etwas Feuchtes auf der Wange und dass man dachte: War das ein Vogel?
    » Ist das ein Vogel?«, fragte Lucien seinen Vater.
    Père Lessard stand über den Brottisch im hinteren Teil seiner Bäckerei gelehnt und malte mit einem Zuckerbäckerpinsel Muster ins Mehl, die Unterarme weiß gepudert wie verschneite Schinken.
    » Das ist ein Segelschiff«, sagte Père Lessard.
    Lucien neigte den Kopf nach links, dann nach rechts. » Ah, stimmt, jetzt sehe ich es auch.« Er sah beim besten Willen nichts.
    Sein Vater ließ die Schultern hängen und wirkte plötzlich sehr müde. » Nein, tust du nicht. Ich bin kein Künstler, Lucien. Ich bin Bäcker. Mein Vater war Bäcker, genau wie sein Vater vor ihm. Seit zweihundert Jahren verpflegt unsere Familie die Menschen auf dem Hügel. Mein Leben lang habe ich nach Hefe gerochen und Mehlstaub geatmet. Keinen einzigen Tag mussten Freunde und Familie hungern, nicht einmal im Krieg. Brot ist mein Leben, Sohn, und bis ich sterbe, werde ich eine Million Laibe gebacken haben.«
    » Ja, Papa«, sagte Lucien. Er hatte schon hin und wieder erlebt, dass sein Vater derart in Melancholie versank, für gewöhnlich– wie jetzt– kurz vor dem Morgengrauen, während sie darauf warteten, dass die ersten Brote aus dem Ofen kamen. Er tätschelte den Arm des Vaters, in der Gewissheit, dass das Brot bald fertig wäre und sie danach so viel zu tun hätten, dass keine Zeit mehr blieb, um Schiffe zu betrauern, die wie Vögel aussahen.
    » Alles würde ich hergeben, wenn ich so mit Wasserfarben umgehen könnte wie unser Freund Monet oder wenn ich die Freude im Lächeln eines jungen Mädchens malen könnte wie Renoir. Weißt du, wovon ich rede?«
    » Ja, Papa«, sagte Lucien. Er hatte keine Ahnung, wovon sein Vater redete.
    » Schwafelt er etwa schon wieder von seinen Busenfreunden?«, sagte Mutter, als sie aus dem Laden gestürmt kam, wo sie das Gebäck in Körben arrangiert hatte. Sie war eine stämmige Frau mit breitem Hintern, die ihr kastanienbraunes Haar als chignon trug, dessen lose Strähnen entweder ihrer Übermüdung zuzuschreiben waren oder ihr einfach nur zu entfliehen versuchten. Trotz ihrer Größe schwebte sie durch die Bäckerei, als tanzte sie einen Walzer, auf den Lippen ein verdutztes Lächeln und in den Augen ein Funke der Verärgerung. Verdutzt und verärgert war mehr oder weniger die Brille, durch die Mère Lessard die Welt sah. » Nun, draußen warten schon die Leute, und zwar auf das Brot, nicht auf den Quatsch, den du da kritzelst.«
    Père Lessard legte seinen Arm um Luciens Schultern. » Versprich mir, Junge, dass du ein großer Maler wirst und dir nicht wie ich das Leben von einer spöttischen Frau verderben lässt.«
    » Einer schönen und spöttischen Frau«, sagte Mutter.
    » Gewiss, chère«, sagte Luciens Vater, » aber vor der Schönheit muss ich ihn nicht warnen, oder?«
    » Dann sei so gut und warne ihn davor, sich mit farbbeklecksten Vagabunden anzufreunden.«
    » Wir müssen Madame ihre Ignoranz verzeihen, Lucien. Sie ist eine Frau, und es mangelt ihr an der Gabe, die Kunst würdigen zu können, doch eines Tages wird sie einsehen, dass meine Malerfreunde große Männer sind, und sie wird ihre unfreundlichen Worte bereuen.«
    Das machten Luciens Eltern manchmal so. Dann sprachen sie
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