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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau!
Autoren: Christopher Moore
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Renoir glaubt nicht, dass aus mir ein großer Maler wird. Er sagt, ich bin schlicht.«
    » Für Renoir ist Schlichtheit eine Tugend. Hat er dir nicht erzählt, wie sehr er schlichte Frauen liebt?«
    » Ich glaube nicht, dass er tugendhaft schlicht meinte. Ich glaube, er meinte dümmlich schlicht.«
    Kurz nachdem Renoir eingewilligt hatte, Lucien zu unterrichten, ging Père Lessard mit dem Jungen den Hügel hinab zum Farbengeschäft von Monsieur Tanguy am Place Pigalle und kaufte ihm einen Zeichenblock, Bleistifte, rote Kreide und etwas Zeichenkohle. Dann fuhren sie auf dem Oberdeck eines Pferdeomnibus zum Louvre, um sich Gemälde anzusehen, damit Lucien einen Orientierungspunkt bekam, von dem aus er seine künstlerische Karriere beginnen konnte.
    » Es gibt viele Bilder der Heiligen Mutter«, sagte Lucien. » Aber keines ist wie das andere.«
    » Die Heilige Mutter hat viele Gesichter, aber man erkennt sie an ihrem blauen Umhang. Man sagt, sie sei der Geist, der allen Frauen innewohnt.«
    » Guck mal, da ist sie nackt, und das Jesuskind hat Flügel«, sagte Lucien.
    » Das ist nicht die Heilige Mutter, das ist Venus. Und das da ist nicht Jesus, das ist Amor, der römische Gott der Liebe.«
    » Sollte sie nicht auch den Geist der Heiligen Mutter in sich tragen?«
    » Nein, sie ist ein heidnischer Mythos.«
    » Was ist mit Maman? Trägt sie auch den Geist der Heiligen Mutter in sich?«
    » Nein, Lucien, deine Mutter ist ebenfalls ein heidnischer Mythos. Komm, sehen wir uns mal die Bilder von diesen Ringkämpfern da drüben an.«
    Jetztsah sich Lucien seinen Vater an, der sich ansah, wie die Sonne hinter dem Horizont hervorkam und die Seine in ein Band von leuchtendem Kupfer verwandelte. Ein wehmütiges Lächeln glänzte in den Augen seines Vaters.
    » Warum malst du nicht, Papa?«, sagte Lucien. » Ich könnte doch das Brot backen.«
    » Die Bleche sind zu schwer für dich. Und du bist nicht groß genug, um in den obersten Ofen zu sehen. Und ich bin zu alt, um noch zu lernen. Und wenn ich es täte, müsste ich es heimlich tun, weil mich sonst meine Malerfreunde nur hänseln würden. Und außerdem bin ich zu alt, um damit noch anzufangen. Ich wäre nie wirklich gut.«
    » Wieso muss es gut sein, wenn du es sowieso geheim hältst?«
    » Wie sollst du je etwas lernen, wenn du immer widersprichst, Lucien? Komm, die Brote müssten so weit sein«, sagte Vater. Er klopfte seine Pfeife am Absatz aus, gab Lucien spielerisch eins hinter die Ohren und schlenderte quer über den Platz zur Arbeit. Scharen von Menschen hatten sich vor der Bäckerei versammelt, Dienstmägde und Ehefrauen, junge Mädchen und alte Männer, Concierges, Cafébesitzer, Fabrikarbeiter, die Brot für ihre Mittagspause holen wollten, die eine oder andere Hure oder Tänzerin und ein Klavierspieler kamen, um nach getaner Arbeit auf dem Heimweg noch auf ein Frühstück einzukehren. Alle sagten bonjour und tratschten und palaverten, während der Duft frisch gebackenen Brotes die Morgenluft erfüllte.
    Am Rande der Menge entdeckte Lucien den Maler Camille Pissarro und lief zu ihm hinüber.
    » Monsieur!«, rief Lucien, blieb in respektvollem Abstand stehen und rang den Drang nieder, seine Arme auszubreiten, um sich hochheben und mit rauen Küssen begrüßen zu lassen. Von Vaters Künstlerfreunden war Pissarro ihm der liebste. Er war ein kahler, hakennasiger Jude mit wildem, grauem Bart, ein Theoretiker und Anarchist, der Französisch mit melodiösem, karibischem Akzent sprach und eben noch erbittert mit seinen Künstlerfreunden in der Bäckerei oder dem Café streiten konnte, um ihnen dann im nächsten Moment seinen letzten Sou für Brot, Kohlen oder Farbe zu schenken.
    Er hatte einen Sohn in Luciens Alter, der ebenfalls Lucien hieß (aber es gab keine Missverständnisse, wenn sie zusammen spielten– aus Gründen, die schon bald verraten werden), und eine Tochter namens Jeanne-Rachel (genannt Minette), die ein Jahr jünger als Lucien war. Minette war zierlich und hübsch und konnte Steine werfen wie ein Junge. Sie weckte eine Liebe in Lucien, die so tief war, dass ihm schier der Atem stockte vor Verlangen, sie an den Haaren zu ziehen, damit sie ihre ganze Leidenschaft in die Welt hinauskreischte. Lucien war relativ sicher, dass er sie eines Tages zur Frau nehmen musste– wenn man ihr nur beibringen könnte, so spöttisch wie seine Mutter zu sein, damit sie ihm auch ordentlich das Leben verdarb. Heute jedoch begleitete sie ihren Vater nicht.
    »
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