Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bullet Boys

Bullet Boys

Titel: Bullet Boys
Autoren: Ally Kennen
Vom Netzwerk:
ALEX
    Alex schoss nie Hasen. Er hatte schon Hunderte Kaninchen, Dutzende Füchse, ein paar verwundete Rehe, ein blindes Mutterschaf und einen Schwarm wild gewordener Wespen ins Jenseits befördert. Außerdem hatte er Tauben, Raben, Krähen, Ratten, Moorhühner, Maulwürfe, Nerze, eine angefahrene Katze, einen Lurcher, der die Schafe bedrohte, und einen hustenden, Schaum spuckenden Dachs abgeknallt. Er hatte Schlingen und Fallen gestellt, Gift ausgelegt und kleine pelzige Wesen aufgespannt. Er hatte gerupft und ausgenommen, abgehäutet und enthauptet. Aber er konnte sich nicht überwinden, einen Lepus zu schießen, denn seine Mutter hatte gesagt, das bringe Unglück.
    Alex lag lang ausgestreckt im Heidekraut, die Sonne brannte ihm in den Nacken. Er richtete das Zielfernrohr seines Luftgewehrs aus und legte den Finger an den Abzug. Unter ihm, im vor Hitze flimmernden Tal, huschte verstohlen ein graubrauner Fleck durch den Stechginster auf die Schlucht und den Fluss zu. Im Hochsommer bekam man Hasen im offenen Gelände selten zu sehen. Vielleicht war dieses Tier krank. Es war in Schussweite, direkt im Fadenkreuz. Alex’ Finger verkrampfte sich. Dad sagte, nichtssei grausamer als die Natur. Wenn es Wildhüter wie ihn nicht gäbe, wäre das ganze Land voller Schädlinge.
    Alex nahm den Finger vom Abzug, sicherte das Gewehr und legte es zur Seite. Hasen richteten keinen Schaden an. Das Tier unten im Tal nahm Witterung auf, ahnte vielleicht Gefahr. Dann verschwand es im Gras. Alex setzte sich auf und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Helena, seine Mutter, hatte außerdem gesagt, Hasen hätten Zauberkräfte und könnten die Zeit zum Stillstand bringen.
    Alex reckte sein Gesicht der Sonne entgegen. Er mochte es, wenn ihm die Hitze in die Haut drang. Seinem Vater Tim wurde von zu viel Sonne schwindelig und flau. Alex hingegen konnte stundenlang still auf einem Felsen liegen und in der Sonne braten, er saugte die Hitze auf wie ein Reptil. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung auf dem gegenüberliegenden Hügel wahr. Alex legte das Gewehr an und guckte durchs Visier. Es waren Jungs von der Armee, die wie kleine Tupfer im Heidekraut zwischen den Felsbrocken hintereinander an der Irishman’s Wall den Belstone Hügel hinunterliefen. Seit dem frühen Morgen war eine kleine Gruppe Soldaten auf einem mörderischen Lauf durchs Moor unterwegs. Ein zehn Meilen langer Rundkurs führte von der Kaserne über das offene Moorland von Rowtor, am Strangeways-Hof vorbei, auf den mit Felsbrocken übersäten Belstone Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Dann ging es etwa eine Meile lang am Fluss entlang, durch Sumpf, Farngestrüpp und Mastviehherden und schließlich über die Schafspfade um den Hügel herum zurück zur Kaserne. Das Militär durfte die verlassenen nördlichen Gebiete des Moors für Truppenübungennutzen. Es gehörte ebenso zum Dartmoor wie die Felsen, die Hügel und die verstreuten Schafe.
    Alex zählte die Soldaten. Eins, zwei, drei, vier. Wo war der fünfte?
    Am Morgen hatte sich Alex hinter den gewaltigen Steinen der prähistorischen Siedlung auf den Hängen des Cosdon Hügels versteckt und sein Visier auf den alten Bergbaukanal gerichtet. Da sah er fünf Soldaten, einen nach dem anderen, im Entwässerungsrohr von Cosdon verschwinden. Dieses riesige Rohr lief unterirdisch durchs Tal, die Männer mussten durch Nässe und Dunkelheit aufund abwärtskriechen.
    »Eine gefährliche Übung.« Das hatte Hauptfeldwebel Furzey gesagt. Alex’ Dad traf ihn manchmal in der Kneipe. Furzey sagte, die Rekruten kämen als große Jungs in Uniform in die Kaserne und verließen sie als menschliche Waffen. Er sagte, je härter er sie schliff, desto größer seien ihre Chancen zu überleben. Das 8. Bataillon, »Pfeilgewehre« oder »Bluthunde«, wie man sie in der Umgebung nannte, war eine kleine Einheit aus dreihundert Soldaten, die erst kürzlich – um elf Mann reduziert – von einem zwölfmonatigen Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt war. Dort waren die Soldaten in einer entlegenen Gebirgssiedlung stationiert gewesen und unter anderem zur Bekämpfung von Aufständischen eingesetzt worden. Die Kaserne der »Bluthunde« befand sich auf dem nächsten Hügel und wurde auch von Einheiten aus dem ganzen Land als Basis für Manöver benutzt. Dartmoor war ein raues Pflaster. 368 Quadratmeilen Moorlandschaft mit Buschwerk, steilen Hügeln, Flüssen, Schluchten, Seen, Sümpfen, Felsbrocken und Wäldern. Alex
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher