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Bullet Boys

Bullet Boys

Titel: Bullet Boys
Autoren: Ally Kennen
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Combe, die Grenze zwischen dem 200 Hektar großen Gut Stonebridge, wo Alex und sein Vater arbeiteten, und dem Moor. Angeblich gab es in diesem Tal Gold, das vor Jahrhunderten vor marodierenden Wikingern versteckt worden sein sollte. Als kleiner Junge war Alex mit seinem Hund Gaffer und einem Spaten hierhergekommen und hatte nach dem Gold gegraben, hatte im Flussbett glitzernde Steine umgewälzt und im Schlamm gewühlt.
    Die Sonne brannte Alex auf den Kopf, als er das Schilfnach dem toten Vogel absuchte. Wegen der brutalen Hitze floss der Fluss träge. Und da lag die tote Krähe. Sie sah so vollkommen aus, als könnte sie jeden Moment lebendig werden. Es war ein riesiger Vogel mit langem, scharfem Schnabel, noch glänzenden schwarzen Augen und gebogenen Krallen, schärfer als jedes Messer. Die blauschwarzen Federn schimmerten.
    Alex erinnerte sich an eine Passage aus einem der Briefe seiner Mutter.
    Krähen sind wie Wesen aus einer anderen Welt, aus der
    dunklen Märchenwelt. Sie fliegen ohne Weiteres aus der
    Menschenwelt in andere Welten voll Zauber und Dunkel-
    heit. Ob Unterwelt oder Frühlingstag: Für sie ist das eins.
    »Deine Mutter hatte jede Menge Phantasie«, hatte Tim gesagt. »Sie sah die Dinge anders als alle anderen.«
    Alex konnte das nicht wissen. Seine Mutter war gestorben, als er fünf Jahre alt war. Ihm waren nur das Fotoalbum und die Briefe zu seinen Geburtstagen geblieben. Er ließ die schlaffe, fiedrige Vogelleiche in einen Jutesack fallen, den er mit einer Schnur zusammenband. Dann legte er Tasche und Gewehr auf einen flachen Stein am Flusssaum und zog Stiefel und Socken aus. Er steckte die Füße ins kalte Wasser. Winzige braune Fischchen flitzten um seine Zehen herum. Hier unten, geschützt vom Wind, der übers Moor fegte, waren gewaltige Bäume, Buchen, Eichen und Eschen herangewachsen. Das Gras, von den Schafen zu einem perfekten Rasen kurzgefressen, war weich und angenehm. Zwischen zwei älteren Buchen, die sich auf beiden Seiten des Flusses gegenüberstanden, hing ein dickerEfeuvorhang. Die gewaltigen Wurzeln der Bäume wanden sich vom Ufer herab und umschlangen sich im glitzernden Wasser. Alex schloss die Augen und lauschte den Tönen des Moorlandes: dem Wind, der in den Blättern spielte, den Bienen, den Schafen, dem rauschenden, gurgelnden Fluss – aber dann war da noch etwas anderes. Ein Schnaufen und Stöhnen wie von einem Tier, flussabwärts. Alex lugte durchs Buschwerk, fand aber nicht heraus, was es war. Er nahm die Füße aus dem Wasser und zog sich Socken und Stiefel an. Das Ächzen und Platschen kam näher. Was immer es war, es bewegte sich im Wasser. Ein großes Tier – ein Hirsch? Ein verletztes Tier? Es klang wie ein verdammter Bär! Alex wollte gerade hinter einen Baum springen, als unter einem niedrig hängenden Zweig ein japsendes, schlammverschmiertes, sonnenverbranntes Gesicht auftauchte. Es war ein Soldat und er weinte. Erschrocken wich Alex zurück, bückte sich und griff nach seinem Gewehr. Wenn er durch den Efeuvorhang schlüpfte, würde er vielleicht unentdeckt bleiben. Alex zog sich vorsichtig zurück, vermied sorgfältig jedes Geräusch. Der Soldat trug ein Sturmgewehr mit einem starken Zielfernrohr. Er schnaufte und stöhnte, gab raue tierähnliche Laute von sich, die Alex an die Krähe in seinem Beutel erinnerten. Der Mann klang verzweifelt; er atmete schwer, hustete und schnaubte und kratzte sich im Gesicht. Sein Stahlhelm war mit Spinnweben, Gras und Schilf überzogen. Seine Tarnhosen waren nass und voller Schlamm, sein weites T-Shirt feucht und fleckig. Er trug einen großen, offenbar schweren Rucksack mit Trinkvorrichtung. Plötzlich blieb der Soldat stehen, sagte: »O je, o je«, dann brach er zusammen und blieb mitten im Fluss sitzen.
    Alex wagte kaum zu atmen. Den Mann kannte er. Das war der fünfte Soldat, derjenige, der ewig lange nicht aus der Röhre herausgekommen war. Den sie »Baz« gerufen hatten. Er war noch jung, vielleicht achtzehn oder neunzehn. War sein Gewehr nass geworden? Das würde er doch zu verhindern gewusst haben, oder? Auf dem Gewehrlauf funkelten Tropfen. Der Junge befand sich ein ganzes Stück flussabwärts von der Trainingsstrecke.
    Alex schob sich um den Stamm der Buche herum und überlegte, ob er seine Hilfe anbieten sollte. Aber kein Soldat würde gerne in so einem Zustand gesehen werden. Der Mann richtete sich auf, sein Körper tropfte und dampfte. Er war in einem fürchterlichen Zustand. Offensichtlich war er völlig
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