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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau!
Autoren: Christopher Moore
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durch ihn, als wäre er ein langes Rohr, das den scharfen Ton ihrer Worte dämpfen sollte. Er hatte gelernt, dass es das Beste war, an die Wand zu starren und auf gar keinen Fall Aufmerksamkeit vorzutäuschen, bis einer von beiden eine ausreichend komische Pointe fand, mit der sich der Schlagabtausch in Wohlgefallen auflöste.
    Mutter schnüffelte die Luft, die vom Duft des backenden Brotes erfüllt war, und schnaubte. » Monsieur, Euch bleiben noch ein paar Minuten, bis das Brot fertig ist. Wieso geht Ihr nicht an die frische Luft und seht Euch mit Eurem Sohn den Sonnenaufgang an? Wenn Ihr erst einen Maler aus ihm gemacht habt, wird er nie mehr früh genug wach sein, um die Sonne aufgehen zu sehen.« Damit tänzelte sie am schweren Holztisch entlang und die Treppe zur Wohnung hinauf.
    Lucien und sein Vater schlichen zur Hintertür des Hauses mit der Nummer 6 an der Rue Norvins hinaus und drückten sich an den Häusern entlang, im Rücken der wartenden Kunden, hinüber zum Place du Tertre, um auf die Stadt zu blicken.
    Der Hügel namens » Montmartre« war hundertdreißig Meter hoch und lag am nördlichen Ende von Paris. Hunderte von Jahren war Montmartre ein eigenständiges Dorf gewesen, draußen vor den Stadtmauern, doch als die Mauern eingerissen wurden, um Platz für Boulevards zu schaffen, wurde Montmartre zu einem Dorf inmitten einer der größten Städte der Welt. Lebte man als Künstler in Paris, dann kam man zum Hungern auf den Montmartre, und es war Père Lessard, der das verhinderte.
    Père Lessard holte eine kleine Pfeife aus seiner Schürzentasche und zündete sie mit einem Streichholz an, dann stand er da, die Hand auf der Schulter seines Sohnes, so wie er es sechs Mal die Woche tat, und rauchte, während sie dabei zusahen, wie sich die Stadt in der Morgendämmerung rosa färbte.
    Dieser Teil des Tages war Lucien der liebste, wenn die Arbeit größtenteils getan war, die Schule noch vor ihm lag und sein Vater mit ihm sprach, als wäre er der einzige Mensch auf der Welt. Er stellte sich vor, er wäre ein junger Moses, der Auserwählte, und Vaters Pfeife wäre der brennende Busch, nur dass er ein kleiner, französischer, katholischer Moses war und kein Wort von dem Hebräisch verstand, das der Busch da redete.
    » Guck mal, da drüben ist der Louvre«, sagte Père Lessard. » Wusstest du, dass der Hof des Louvre ein Elendsquartier war, in dem Arbeiter mit ihren Familien hausten, bis Haussmann Paris umgebaut hat? Monsieur Renoir ist dort aufgewachsen.«
    » Ja«, sagte Lucien, erpicht darauf, seinem Vater zu zeigen, wie erwachsen er war. » Er hat erzählt, als kleiner Junge hätte er den Männern von Königin Amalias Garde Streiche gespielt.« Lucien kannte Monsieur Renoir besser als die anderen Maler seines Vaters, da Renoir eingewilligt hatte, Lucien im Zeichnen zu unterweisen, im Tausch gegen Brot, Kaffee und Gebäck. Trotz der gemeinsamen Zeit, die sie verbrachten, schien Renoir ihn nicht sonderlich zu mögen. Lucien vermutete, dass es vielleicht mit seiner Syphilis zu tun hatte.
    Es war bereits während ihrer zweiten Stunde deutlich geworden, als Lucien jammerte, er sei einfach nicht klug genug, um Künstler zu werden.
    » In der Kunst geht es nicht ums Denken, Lucien«, sagte Renoir. » Es geht um die Geschicklichkeit in deinen Händen. Ich bin kein Intellektueller, ich habe keine Phantasie. Ich male, was ich sehe. An den Händen eines Mannes lässt sich mehr erkennen als an seinem Diskurs.«
    » Aber Eure Hände sind winzig, Monsieur«, sagte Lucien. Renoir war tatsächlich ein ausgesprochen schmächtiger Geselle. Madame Jacob, der die crémerie gegenüber am Platz gehörte, wollte ihn am liebsten überreden, eine ihrer beiden Töchter zu heiraten, die– wie sie versprach– dafür sorgen würde, dass er was auf die Rippen bekam, um ihn vor seiner haushälterischen Hilflosigkeit zu retten.
    » Was willst du mir damit sagen?«, fragte Renoir.
    » Nichts«, sagte Lucien.
    » Deine Hände sind auch winzig«, sagte Renoir.
    » Aber ich bin erst neun«, erwiderte Lucien, der damals erst neun Jahre alt war.
    » Das ist der Grund, weshalb dich niemand mag, Lucien«, sagte Renoir. » Wahrscheinlich sind deine Hände so klein, weil du Syphilis hast.«
    Lucien wusste nicht, was Syphilis war, aber er fürchtete, es würde ihn als Maler behindern.
    » Du hast keine Syphilis«, sagte Vater. » Deine Hände sind fein und kräftig vom Teigkneten. Du wirst einmal ein großer Maler.«
    » Ich glaube, Monsieur
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