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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau!
Autoren: Christopher Moore
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er schon halb erklommen.
    » Ein Ohr wird ihr nicht reichen. Geh wieder auf dein Zimmer und mal heute eine Blumenvase.«
    » Ich dachte, du sagst die Zukunft nicht voraus.«
    » Ich habe nicht gesagt, dass ich die Zukunft nicht sehe«, erwiderte die Zigeunerin. » Ich sag nur nichts.

    Er stellte seine Staffelei an einer Weggabelung auf. Drei Weizenfelder breiteten sich vor ihm aus, hinter ihm ein Maisfeld. Er war fast fertig mit dem Bild – dem goldenen Weizen unter blauschwarz drohendem Himmel, an dem sich die Sturmwolken türmten. Er drückte seinen Pinsel in das Elfenbeinschwarz und malte einen Krähenschwarm, der sich von der Mitte des Bildes wie ein umgedrehter Trichter zur rechten oberen Ecke der Leinwand hin erhob. Wegen der Perspektive, denn Bilder waren nicht nur Farbe auf der Leinwand, obwohl viele in Paris neuerdings argumentierten, alles Malen sei nur Farbe, mehr nicht.
    Er malte eine letzte Krähe, nur vier Pinselstriche, um die Flügel anzudeuten, dann trat er zurück. Natürlich waren da Krähen, nur nicht kompositorisch passend. Die wenigen, die er s eh en konnte, waren auf dem Acker gelandet, suchten Schutz vor dem Sturm wie die Feldarbeiter, die sich irgendwo einen Unterstand gesucht hatten.
    » Male nur, was du siehst«, hatte ihn sein Held Millet ermahnt.
    » Phantasie ist dem Maler eine Last«, hatte Renoir ihm erklärt. » Maler sind Handwerker, keine Geschichtenerzähler. Male, was du siehst!«
    Nur leider hatten sie ihm nichts davon gesagt, ihn nicht gewarnt, wie viel es zu sehen gab.
    Hinter sich hörte er ein Rascheln, nicht nur den leisen Applaus der Maiskolben im Wind. Vincent drehte sich um und sah einen verwachsenen, kleinen Mann, der aus dem Maisfeld trat.
    Der Farbenmann.
    Vincent hielt den Atem an und schüttelte sich, spürte jeden Muskel vibrieren, sein Körper denunzierte ihn, wand sich beim Anblick des kleinen Mannes wie ein geheilter Süchtiger, der zum ersten Mal wieder mit der Droge seines Verderbens in Kontakt kommt.
    » Du bist aus Saint-Rémy geflüchtet«, sagte der Farbenmann. Sein Akzent klang seltsam, undefinierbar, der Einfluss eines guten Dutzends schlecht beherrschter Sprachen. Er hatte einen dicken Bauch und runde Schultern, die Arme und Beine etwas zu dünn für seinen Leib. Mit dem kleinen Gehstock bewegte er sich vorwärts wie eine fünfbeinige Spinne. Das Gesicht war breit, flach und braun. Seine Stirn ragte hervor, als wollte sie verhindern, dass es ihm in die schwarzen Knopfaugen regnete. Seine Nase war platt, die Nasenlöcher geweitet, was Vincent an die Shinto-Dämonen auf japanischen Drucken erinnerte, die sein Bruder verkaufte. Er trug eine Melone auf dem Kopf und eine Lederweste über dem zerfetzten Leinenhemd.
    » Ich war krank«, sagte Vincent. » Ich bin nicht geflüchtet. Dr. Gachet behandelt mich hier.«
    » Du schuldest mir ein Bild. Du bist abgehauen und hast mein Bild mitgenommen.«
    » Ich brauche Euch nicht. Theo hat mir erst gestern zwei Tuben Zitronengelb geschickt.«
    » Das Bild, Holländer, oder du kriegst kein Blau mehr.«
    » Ich habe es verbrannt. Ich habe die Leinwand verbrannt. Ich will das Blau nicht.«
    Der Wind wehte Vincents Bild von der Staffelei. Es landete im Gras zwischen den Spurrillen des Weges. Vincent wandte sich ab und hob es auf, und als er sich wieder umdrehte, hielt der Farbenmann einen kleinen Revolver in der Hand.
    » Du hast es nicht verbrannt, Holländer. Also, sag mir, wo das Bild ist, oder ich knall dich ab und suche es selbst.«
    » Die Kirche«, sagte Vincent. » In meinem Zimmer in der Schenke steht ein Bild von der Kirche. Ihr werdet sehen, dass die Kirche in Wirklichkeit gar nicht blau ist, aber ich habe sie blau gemalt. Ich wollte Zwiesprache mit Gott halten.«
    » Du lügst! Ich war in der Schenke und habe dein Gotteshaus gesehen. Sie ist nicht auf diesem Bild.«
    Der erste dicke Regentropfen platschte auf die Melone des kleinen Mannes, und als er aufblickte, spritzte ihm Vincent mit dem Pinsel elfenbeinschwarze Farbe ins Gesicht. Ein Schuss ging los, und Vincent spürte, wie ihm die Luft wegblieb. Er hielt seine Brust und sah den Farbenmann, der die Waffe von sich warf, ins Maisfeld rannte und immer wieder schrie: » Nein! Nein! Nein! Nein!«
    Vincent ließ Bild und Staffelei zurück, nahm eine zerdrückte Tube aus der Farbenkiste und steckte sie ein, dann presste er sich die Hände auf seine Brust und stolperte die Straße entlang, auf dem Kamm oberhalb des Städtchens, etwa eine Meile bis zu Dr. Gachets
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