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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau!
Autoren: Christopher Moore
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erwähnte die Neuigkeit so unbekümmert, als machte sie eine Bemerkung über das Wetter.
    » Hat sich erschossen. Mitten auf einem Maisfeld«, sagte das Mädchen. » Ach, und eine von diesen Lammpasteten, bitte.«
    Es überraschte sie, dass Lucien der Atem stockte und er sich am Tresen festhalten musste.
    » Tut mir leid, Monsieur Lessard«, sagte das Mädchen. » Ich wusste nicht, dass Sie ihn kannten.«
    Lucien winkte ab, sie solle sich keine Gedanken machen, und fand die Fassung wieder. Er war siebenundzwanzig Jahre alt, schmal und bartlos, mit einem schwarzen Haarschopf, der über seine Stirn und seine dunklen Augen fiel, die von so tiefem Braun waren, dass sie das Licht aus dem Raum zu saugen schienen. » Wir haben zusammen studiert. Er war ein Freund.«
    Lucien zwang sich, das Mädchen anzulächeln, dann wandte er sich seiner Schwester Régine zu, die sechs Jahre älter war, eine zierliche Frau mit hohen Wangenknochen und ebenso dunklen Haaren und Augen, die am anderen Ende des Tresens arbeitete.
    » Régine, ich muss es Henri erzählen.« Schon löste er seine Schürze.
    Régine nickte und wandte sich eilig ab. » Ja, das musst du«, sagte sie. » Geh, nun geh schon!« Sie winkte ihm über die Schulter hinweg zu, und er sah, dass sie ihre Tränen verbarg. Sie weinte nicht um Vincent, denn sie hatte ihn ja kaum gekannt. Sie weinte um den Verlust eines anderen verrückten Malers, denn das war das Schicksal der Lessards.
    Lucien drückte die Schulter seiner Schwester. » Kann ich dich hier allein lassen?«
    » Geh. Geh, geh!«, sagte sie.
    Lucien wischte Mehl von seiner Hose, als er über den Platz hinweg zum Rand des Montmartre lief, wo er Paris unter sich liegen sah, das in der Mittagssonne schimmerte. Im Osten stieg schwarzer Rauch von den Fabriken in Saint-Denis auf und warf einen Schatten über ganze Stadtviertel. Die Seine war eine silberblaue Klinge und zerschnitt die Stadt in zwei Teile. Die Boulevards flimmerten vor Hitze und buntem Treiben und dem beißenden Dampf der Pferdepisse. Über allem ragte der Butte Montmartre auf, der Hügel der Märtyrer, auf dem St. Denis, der erste Bischof von Paris, im Jahre 251 von den Römern enthauptet worden war, um dann sein letztes kanonisches Wunder zu vollbringen, indem er seinen abgeschlagenen Kopf aufhob und genau zu der Stelle trug, an der Lucien nun stand, und als er ein letztes Mal auf seine Stadt hinausblickte, dachte er: Weißt du, was da gut hinpassen würde? Ein großer Eisenturm. Aber was weiß ich denn schon? Kopfloses Gerede.
    Es heißt, sein Kopf sei den ganzen Weg bis zur Avenue de Clichy gerollt, und nun machte sich Lucien auf, die zweihundertzweiundvierzig Stufen hinabzusteigen, zu ebenjenem Boulevard in der Gegend um den Place Pigalle, auf dem sich die Cafés, Bordelle und Cabarets drängten und an manchem Morgen beim Brunnen die » Parade der Modelle« stattfand.
    Lucien lief zuerst zu Henris Wohnung an der Rue de la Fontaine, wo er niemanden antraf. Da er davon ausging, dass Henri nach einer weiteren Nacht bei Absinth und Opium seinen Rausch ausschlief, bat er die Concierge, ihm die Tür zu öffnen, doch der Maler war nicht zu Hause.
    » Ich habe den kleinen Herrn seit zwei Tagen nicht gesehen, Monsieur Lessard«, sagte die Concierge, eine rundliche Frau mit hängenden Schultern, Knollennase und Wangen, die von geplatzten Äderchen überzogen waren. » Der beißt sogar dem Teufel noch in den Allerwertesten, bevor er abtritt.«
    » Sollte er nach Hause kommen, teilen Sie ihm bitte mit, dass ich da war«, sagte Lucien. Er hoffte, Madame würde Henri gegenüber nichts von teuflischen Hintern erwähnen. Es würde ihn inspirieren, und zwar keineswegs in künstlerischer Hinsicht.
    Dann um die Ecke zum Moulin Rouge. Das Cabaret war tagsüber nicht fürs Publikum geöffnet, aber manchmal zeichnete Henri die Tänzerinnen bei der Probe. Nur heute nicht. Das Tanzlokal war dunkel. Lucien suchte seinen Freund im Restaurant Le Rat Mort, wo er bisweilen dinierte, und in diversen Cafés an der Avenue de Clichy, bis er aufgab und sich auf den Weg zu den Freudenhäusern machte. Im Salon des Bordells an der Rue d’Amboise sagte ein Mädchen im roten Negligé, das auf einem samtenen Diwan gedöst hatte: » O ja, er war zwei Tage hier, vielleicht drei, ich weiß nicht. Ist es draußen dunkel? Eben will er einen noch ficken, dann will er einen zeichnen, während man sich kämmt, und schon kocht er einem Tee, und ununterbrochen trinkt er Absinth oder Cognac– da
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