Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Autoren: Michael Böckler
Vom Netzwerk:
»Carla-Darling, dreh dich doch bitte etwas mehr zur Seite. Und Lisa, steh nicht so steif. Ja, so ist’s besser.«

2
    I m Palazzo Vendramin-Calergi war Hochbetrieb. Aber wohl keiner seiner Besucher würdigte in angemessener Form die Pracht dieses Palastes am Canal Grande. Kein Auge hatten sie für die seidenbespannten Wände, die schweren Lüster aus Muranoglas, die kunstvollen Fresken und Stuckaturen. 1883, ein Jahr nach der Premiere von
Parsifal
, war Richard Wagner in diesem Palast der Frührenaissance verstorben, an seinem Bett Cosima, die Tochter von Franz Liszt. Aber auch das interessierte an diesem Abend niemanden. Stattdessen fieberten sie ihrem Glück entgegen. In den Wintermonaten bis in den späten Frühling rollt im Palazzo Vendramin-Calergi die Kugel, werden Karten gemischt und Spielautomaten malträtiert. Erst im Juni verlegt das Casinò Municipale di Venezia seinen Sitz auf den Lido in den Palazzo del Casinò.
    Er stellte sein leeres Cocktailglas auf den Tresen und atmete ruhig durch. Der nackten Schönheit auf dem Ölgemälde über der Bar schenkte er zum Abschied ein vertrautes Lächeln. Dann ging er hinüber zu dem separaten Raum, in dem die Einsätze am Roulettetisch etwas höher waren. Mit einem raschen Blick erfasste er die zuletzt gefallenen Zahlen auf dem Display. Schwarz lag leicht vorne, und die kleine Serie dominierte. Fast achtlos warf er einige Jetons auf den grünen Samt. »Huit, plein!«, gab er seine Anweisung. Er beobachtete den Croupier, wie er die Drehscheibe in Rotation versetzte und mit routiniertem Schwung die Elfenbeinkugel in den Kessel warf. Eine verlebt wirkende Dame setzte noch schnell einen Jeton auf Pair. Dafür hatte er nur ein verächtliches Grinsen übrig. Er wusste, dass er der Einzige am Tisch war, der das Herz und die Erfahrung eines echten Spielers hatte. Noch sauste die Kugel am oberen Rand der Scheibe entlang.
    »Terminato! Rien ne va plus!«
    Jetzt begann die spannendste Phase des Spiels. Er liebte diese kurze Zeit des Hoffens und Bangens. Eigentlich war bereits alles entschieden. Und doch kannte keiner den Ausgang. Allein die kleine weiße Kugel mochte wissen, für welche Zahl sie sich letztlich entscheiden würde. Würde sie die Acht noch ein- oder zweimal passieren?
    Die Kugel verlor an Geschwindigkeit, kollidierte mit einer der metallenen Rauten, sprang wie von Sinnen hin und her, prallte gegen die Stege zwischen den Nummerfächern. Obwohl sich jetzt alles in Sekundenbruchteilen abspielte, nahm er das Ende, das unaufhaltsam näher rückte, wie in Zeitlupe wahr. Bald würde die Kugel ihr kurzes, temperamentvolles Leben aushauchen und sich in einem Fach zur Ruhe begeben. Aber noch bewahrte sie ihr Geheimnis.
    Egal, er hatte beschlossen, sich heute Abend nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Eigentlich spielte er gar nicht richtig, er setzte nur einige Jetons zum Zeitvertreib. Fingerübungen sozusagen, um sich das Gefühl für das Zusammenspiel von Kessel und Kugel zu erhalten. Er hatte sich für diesen Abend eine Verlustgrenze gesetzt. Kam er nicht in die Gewinnzone, dann machte das überhaupt nichts. Bei Erreichen der Verlustgrenze würde er das Spiel einfach abbrechen, zurück an die Bar gehen und völlig entspannt einen Wodka Martini trinken. Und so viel er wusste, gab es dort nicht nur anzügliche Frauen auf alten Ölgemälden kennen zu lernen.
    Sechsunddreißig, elf, dreißig … Er hielt den Atem an. Die Kugel verharrte bei der Acht. Plötzlich aber kam noch einmal für einen Wimpernschlag Leben in die Kugel. Sie hatte ihn nur verspottet. Hatte ihn gelockt und dann abgewiesen. Wenn es etwas gab, das er überhaupt nicht leiden konnte, dann war es genau diese hinterlistige Art. Erst so tun, als ob, und dann doch nicht. Warum dann überhaupt diese arglistige Täuschung?
    »Dieci, nero, pair et manque.«
    Was sollte dieses Kauderwelsch, konnte sich der Croupier nicht endlich für eine Sprache entscheiden? Mit seinem Rechen schob er die platzierten Jetons über das Tableau. Die Dame, die den schönsten Teil ihres Lebens schon hinter sich hatte, bekam einen kleinen Stapel hingeschoben – sie zählte zu den Gewinnern. Er konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. Was waren das für Kleingeister an diesem Tisch? Die beiden jungen Männer links von ihm hatten zwar schöne Krawatten, aber ganz offensichtlich keine Ahnung von diesem königlichen Spiel. Hauptsache, ihre blonden, nichts sagenden Begleiterinnen waren von ihrem weltmännischen Gehabe ausreichend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher