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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Autoren: Michael Böckler
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Kamera in Position. »It’s showtime!«
    Vor ihm am Strand bewegten sich die Models in lang geübter Routine. Die weißen Chiffonkleider der neuen Kollektion waren so fein, dass sie fast durchsichtig wirkten. Von rechts sorgte eine Windmaschine für eine leichte Brise. Gerade stark genug, dass die zarten Stoffe wie schwerelos zu schweben schienen. Links befand sich die Crew: die Stylistin, die Maskenbildnerin. Der Werbeleiter der Modefirma, die die Produktion in Auftrag gegeben hatte, saß auf einem Klappstuhl und gefiel sich in seiner bedeutenden Rolle. Mit seiner Zigarre und der dunklen Sonnenbrille sah er aus wie die schlechte Kopie eines Hollywood-Regisseurs.
    Mark schoss die Aufnahmen im Sekundentakt. Schon war der erste Film durch. Sein Assistent, der neben ihm im Wasser stand, nahm die Kamera entgegen und reichte ihm die nächste. Die Stylistin eilte zu den Models und setzte ihnen schwarze Strohhüte auf. Eine Assistentin zupfte aufgeregt an den Kleidern herum.
    Mark beugte sich über das Wasser und peilte durch den Sucher. Die Reflexe auf den sanften Wellen faszinierten ihn. Sie tanzten auf und ab, drehten sich im Kreise. Ein Ballett irisierender Kristalle. Immer in Bewegung, voller Überraschungen und Geheimnisse.
    Mark richtete sich wieder auf und beobachtete die Szene am Strand. Die Kollektion war nicht übel, immerhin. Und in spätestens einer Stunde würden sie fertig sein. Vier Tage hatte das Shooting gedauert. Das Honorar, das seine Agentin in London ausgehandelt hatte, war in Ordnung. Da konnte er ohne finanzielle Probleme wieder eine schöpferische Pause einlegen. Diese Auszeiten trieben Norma regelmäßig zum Wahnsinn. Gerade dann hätte er immer die tollsten Aufträge haben können – behauptete sie jedenfalls. Ihm war das allerdings ziemlich egal. Er hatte keine Lust, sich vollends vermarkten zu lassen. Nun ja, auf diese Weise würde er den ganz großen internationalen Durchbruch als Modefotograf wohl nicht schaffen. Und reich wurde er so auch nicht. Aber was machte das schon! Außerdem war er auch so ganz gut im Geschäft. Mark Hamilton bewohnte einen Loft in London, der nicht viel kostete. Er hatte bereits seinem Vater, der Maler gewesen war, als Atelier gedient. Und außerdem war er sowieso meistens unterwegs. Besondere Ansprüche hatte er keine. Bei den Fotoproduktionen war ohnehin immer alles vom Feinsten. Und in der Zeit dazwischen ließ er es locker angehen. Ihm war ein Schlafsack am Strand von Biarritz genauso recht wie eine Suite im Ritz-Carlton. Als geborener Engländer, mit einem schottischen Vater und einer deutschen Mutter, zur Schule gegangen in London, in den Ferien viel in Deutschland und bei seiner Großmutter in Italien, später auf der Fotoakademie in Paris und bei Fotoshootings schon fast überall auf der Welt, fühlte sich Mark als ausgesprochener Kosmopolit. Er reiste viel herum. Fotografierte dabei einfach zum Spaß. Ging gern zum Essen. Hielt nach Mädchen Ausschau, die ihm gefielen. Und wenn das Geld knapp wurde, erklärte er die schöpferische Pause einfach für beendet, rief seine Agentin Norma an und zog wieder einige Produktionen durch. Das kam seiner Vorstellung vom idealen Leben ziemlich nahe.
    Mark kontrollierte das Objektiv. Keine Wasserspritzer. Alles klar.
    »Okay, Girls, es geht weiter. Und schaut nicht so ernst. Das ist hier keine Beerdigung. Girls wanna have fun!«
    Die Stylistin rückte noch einen Hut zurecht und lief dann mit bloßen Füßen über den Sand aus dem Bild. Unwillkürlich folgte Mark ihr mit der Kamera. Miranda, so hieß die Stylistin, mit der er bei dieser Produktion zum ersten Mal zusammenarbeitete, gefiel ihm ungleich besser als die Models, denen es nach seinem Geschmack am wünschenswerten Sex-Appeal mangelte – wofür sie gewiss nichts konnten. Sie entsprachen nun mal perfekt dem Schönheitsideal der Modeindustrie, hoch aufgeschossen und ziemlich mager. Er persönlich hatte es gerne etwas femininer. Mark drückte einige Male auf den Auslöser. Miranda blieb stehen, sah ihn an, lachte und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Wieder drückte Mark auf den Auslöser.
    »Gleich gibt’s Ärger«, zischte ihm sein Assistent von der Seite zu. Mark warf einen Blick zu den Models, die sich ganz offensichtlich missachtet fühlten. Er sah, dass der Werbeleiter bereits seine Zigarre zur Seite gelegt hatte und im Begriff war aufzustehen.
    »Okay, Girls, ich bin ja schon bei euch!«, rief Mark und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
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