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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Autoren: Michael Böckler
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gelegentlich nach Verona, Vicenza, Padua und Treviso. Und natürlich nach Venedig, diesem unvergleichlichen Juwel in der Lagune.
    Ottilia Balkow kannte fast alle Antiquitätengeschäfte zwischen dem Lago di Garda und dem Lido von Venedig. Schließlich war das Sammeln von alten Möbeln, Bildern, Kerzenleuchtern, Spiegeln und Gläsern zu einer späten Leidenschaft geworden. Und da sie durch die Ehe mit ihrem Mann, der einer wohlhabenden Familie entstammte, über ein ansehnliches Vermögen verfügte, konnte sie dieser Passion ohne allzu große Zwänge frönen. Nun, da ihr diese Ausflüge immer schwerer fielen, erfreute sie sich an all den Dingen, die sie im Laufe der Jahre in ihrer Villa angesammelt hatte.
    »Dio! Mi potevi scagliar tutti i mali della miseria …« Der Tenor auf der abgenutzten Schallplatte war mittlerweile bei
Otello
angelangt. Gott, hättest Du auf mich alle Qualen des Unglücks gehäuft …
    Ottilia Balkow strich gedankenverloren über ihr fast bodenlanges Seidenkleid, prostete ins Dunkel der Nacht, leerte mit einem letzten Schluck ihr Glas und machte kehrt, um zurück ins Haus zu gehen. Sie war nicht mehr ganz nüchtern, aber an diesen Zustand war sie gewohnt. Nach ihrer festen Überzeugung war der Rotwein so etwas wie ein Lebenselixier. Sie wählte den Weg am niedrigen Mäuerchen entlang, hinter dem sich einige Meter tiefer das Rosenbeet befand, das noch ihr Mann angelegt hatte. Plötzlich, sie wusste nicht warum, stockten ihre Beine. Sie geriet ins Straucheln, fühlte sich unversehens nach rechts gezogen. Während sie noch über ihre Ungeschicklichkeit nachdachte und darüber, dass ihr das noch nie passiert war, versuchte sie mit rudernden Armen das Gleichgewicht wieder zu finden. Dann fiel ihr noch ein, dass einer ihrer Enkel sie vor nicht so langer Zeit besorgt vor dieser nur wenige Handbreit hohen Mauer gewarnt hatte. Immerhin gehe es unmittelbar dahinter steil nach unten. Sie wusste auch noch ihre Antwort, nämlich, dass dies nun schon seit Jahrzehnten so sei und allenfalls für Besucher eine Gefahr sein könne. Ottilia Balkow ärgerte sich, dass sie nun genau an dieser Stelle aus der Balance geraten war. Sie hatte doch keinen Tropfen mehr getrunken als sonst auch. Und jetzt zog sie der Abgrund hinter dem lächerlich niedrigen Mäuerchen richtiggehend an. Sie hörte noch die Stimme Otellos: »Desdemona, Desdemona. Ah! morta! morta …«
    Sekunden später lag die alte Dame einige Meter tiefer zwischen den Rosen – unnatürlich verrenkt und regungslos.
    »Or morendo, nell’ombra in cui mi giacio …« Nun, im Sterben, da Schatten mich umfangen …
    Aber Ottilia Balkow konnte ihre Lieblingsplatte nicht mehr hören.

PRIMA PARTE
    La sfida alla fortuna
Spiel mit dem Glück
     
     
     

1
    M ark Hamilton stand am Strand des Lido mit dem Rücken zum Meer bis zum Bauchnabel im Wasser. Hinter ihm, weit draußen am Horizont, zogen lautlos einige Frachter vorbei auf ihrem Weg nach Triest. Vor ihm die malerische Kulisse der Capanne, jener Badehäuschen, die schon in den zwanziger Jahren das Bild am Lido bestimmt hatten. Wie kleine weiße Beduinenzelte sahen sie an diesem Abschnitt des Strandes aus, auf der Spitze jeweils eine Glaskugel, in denen sich die noch tief stehende Morgensonne spiegelte. Und dahinter die unvergleichliche Fassade des Hotels Excelsior mit einem kühnen Stilmix aus maurischen und byzantinischen Elementen.
    1907 war der Stein gewordene Traum aus Tausendundeiner Nacht mit einem legendären Fest eröffnet worden. Zwei Stunden hatte allein das imposante Feuerwerk gedauert. Dreitausend geladene Gäste feierten bis zum frühen Morgen. Von Anbeginn an haben sich in diesem Palast alle eingefunden, die zum »grande mondo« zählten. Barbara Hutton, Elsa Maxwell und Erroll Flynn gehörten zu den Stammgästen. Winston Churchill liebte es, vor dem Excelsior am Strand spazieren zu gehen. Um sich vor der Sonne zu schützen, zog er dabei den Bademantel über den Kopf. Wie ein Tuareg habe er dann ausgesehen, berichteten Chronisten. Und zum Bad im Meer habe er seine Sandalen ausgezogen. Aber nur die Sandalen, nicht den Bademantel.
    Mark kniff prüfend ein Auge zu. Die große Kuppel des Excelsior schimmerte grün. Die Fassade mit ihren orientalischen Zinnen gab den roten Glanz des Morgens wieder. Die Fluten der Adria liefen sanft auf dem Sand aus. Die Luft war klar und das Licht zu dieser frühen Stunde geradezu perfekt.
    »I’m ready, avanti, let’s go!«, rief Mark und brachte seine
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