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Verdammnis

Verdammnis

Titel: Verdammnis
Autoren: Stieg Larsson
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wenig befangen gewesen, wenn sie sich nackt zeigen sollte.
    Aber dann hatte sie ganz plötzlich Brüste bekommen. Keine Riesenballons (die sie gar nicht haben wollte und die an ihrem ansonsten spindeldürren Körper noch lächerlicher gewirkt hätten), sondern zwei feste runde Brüste mittlerer Größe. Die Vergrößerung war vorsichtig durchgeführt worden, und die Proportionen stimmten. Aber der Unterschied war dramatisch, sowohl für ihr Aussehen als auch für ihr ganz persönliches Wohlbefinden.
    Sie hatte fünf Wochen in einer Klinik in der Nähe von Genua verbracht, um sich die Implantate für ihre neue Brust auszusuchen. Sie hatte die Klinik und die Ärzte ausgewählt, die in Europa den besten und seriösesten Ruf hatten. Ihre Ärztin, eine charmante, hartgesottene Frau namens Alessandra Perrini, hatte festgestellt, dass Lisbeths Brust in der Tat unterentwickelt und eine Brustvergrößerung daher medizinisch begründbar war.
    Der Eingriff war freilich nicht schmerzfrei gewesen, aber der Busen sah ganz natürlich aus und fühlte sich auch so an, und die Narbe war mittlerweile fast nicht mehr sichtbar. Sie hatte ihren Entschluss keine Sekunde bereut. Sie war zufrieden. Noch ein halbes Jahr danach konnte sie nie mit nacktem Oberkörper an einem Spiegel vorbeigehen, ohne zu stutzen und mit Freuden festzustellen, dass sich ihre Lebensqualität um einiges verbessert hatte.
    Während ihrer Zeit in der Klinik in Genua hatte sie sich auch eine ihrer Tätowierungen entfernen lassen - eine zwei Zentimeter lange Wespe auf der rechten Halsseite. Sie mochte ihre Tattoos immer noch, vor allem den großen Drachen, der ihr vom Schulterblatt bis über den Po reichte, hatte aber trotzdem beschlossen, sich die Wespe entfernen zu lassen. Aus dem einfachen Grund, weil sie so gut sichtbar und auffällig war, dass man sich leicht an Lisbeth erinnern und sie identifizieren konnte. Und Lisbeth wollte nicht, dass man sich leicht an sie erinnern und sie identifizieren konnte. Die Wespe wurde mit einem Laser entfernt, und wenn sie sich jetzt mit dem Zeigefinger über den Hals fuhr, spürte sie noch eine ganz kleine Narbe. Bei näherem Hinsehen konnte man erkennen, dass ihre sonnengebräunte Haut an dieser Stelle einen Tick heller war, aber auf den ersten Blick sah man gar nichts. Insgesamt hatte ihr Besuch in Genua sie umgerechnet 190 000 Kronen gekostet.
    Was sie sich durchaus leisten konnte.
    Sie riss sich aus ihren Träumen vorm Spiegel los und zog Slip und BH an. Zwei Tage nachdem sie die Klinik in Genua verlassen hatte, besuchte sie zum ersten Mal in ihrem 25-jährigen Leben eine Boutique für Damenunterwäsche und kaufte sich Kleidung, die sie bis dahin nie gebraucht hatte. Inzwischen war sie 26 und trug ihren BH mit einer gewissen Befriedigung.
    Darüber zog sie eine Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift Consider this a fair warning . Nachdem sie ihre Sandalen und den Sonnenhut gefunden hatte, hängte sie sich noch eine schwarze Nylontasche über die Schulter.
    Auf dem Weg zum Ausgang bemerkte sie an der Rezeption aufgeregtes Gemurmel einer kleinen Gruppe von Gästen. Sie ging etwas langsamer und spitzte die Ohren.
    »Just how dangerous is she?«, fragte eine Schwarze mit hoher Stimme und europäischem Akzent. Lisbeth erkannte sie wieder: Sie gehörte zu einer Chartergruppe aus London, die vor zehn Tagen angekommen war.
    Freddie McBain, der grau melierte Empfangschef, der Lisbeth Salander sonst immer mit einem freundlichen Lächeln grüßte, wirkte bekümmert. Er erklärte, dass alle Hotelgäste Anweisungen bekommen würden und kein Grund zur Beunruhigung bestehe, wenn sie diese Anweisungen haargenau befolgten. Nach dieser Antwort wurde er neuerlich mit Fragen bestürmt.
    Lisbeth Salander runzelte die Stirn und ging an die Bar, wo sie Ella Carmichael hinter der Theke fand.
    »Worum geht es denn da?«, erkundigte sie sich und zeigte mit dem Daumen auf das Knäuel vor der Rezeption.
    »Mathilda hat uns einen Besuch angedroht.«
    »Mathilda?«
    »Mathilda ist ein Wirbelsturm, der sich vor ein paar Wochen vor Brasilien gebildet hat und heute Morgen durch Paramaribo gezogen ist, die Hauptstadt von Surinam. Es ist nicht sicher, in welche Richtung der Sturm weiterzieht - wahrscheinlich nach Norden in Richtung USA. Aber wenn er der Küste in westlicher Richtung folgt, dann liegen Trinidad und Grenada mitten auf seiner Route. Könnte eine ziemlich stürmische Angelegenheit werden.«
    »Ich dachte, die Saison der Wirbelstürme
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