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Verdammnis

Verdammnis

Titel: Verdammnis
Autoren: Stieg Larsson
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Lokalzeitung Grenadian Voice durch. Der einzig interessante Artikel war eine dramatische Warnung vor Mathildas möglichem Besuch. Eine Illustration zeigte ein verwüstetes Haus, und man erinnerte an die Spur der Zerstörung, die der damalige große Wirbelsturm hinterlassen hatte.
    Sie faltete die Zeitung wieder zusammen, nahm einen Schluck aus der Flasche und lehnte sich zurück, als sie plötzlich den Mann von Zimmer 32 von der Bar auf die Veranda treten sah. In der einen Hand trug er seine braune Aktentasche, in der anderen ein großes Glas Coca-Cola. Sein Blick streifte Lisbeth, ohne dass er sie wiedererkannt hätte, dann setzte er sich auf die andere Seite der Veranda und sah aufs Meer hinaus.
    Lisbeth Salander musterte ihn im Profil. Er schien völlig geistesabwesend und blieb sieben Minuten unbeweglich sitzen, bevor er auf einmal sein Glas an den Mund hob und drei tiefe Schlucke nahm. Er stellte die Cola wieder ab und starrte weiter aufs Wasser. Nach einer Weile öffnete Lisbeth ihre Tasche und holte Dimensions in Mathematics heraus.
     
    Lisbeth war ihr Leben lang von Puzzles und Rätseln fasziniert gewesen. Als sie neun war, kaufte ihre Mutter ihr einen Zauberwürfel. Daran hatte sie fast vierzig frustrierende Minuten lang ihre logischen Fähigkeiten erprobt, bis sie schließlich verstand, wie das Ganze funktionierte. Danach hatte sie keine Probleme mehr, sechs gleiche Seiten zu erzeugen. In den Intelligenztests der Zeitungen kreuzte sie niemals eine falsche Antwort an: fünf seltsam geformte Figuren mit der Frage, wie die sechste aussehen müsse - die Antwort lag für sie jedes Mal auf der Hand.
    In der Grundschule hatte sie Plus und Minus kennengelernt. Multiplikation, Division und Geometrie waren nur die natürlichen Fortsetzungen davon. Sie konnte die Restaurantrechnung im Kopf addieren und die Bahn eines Artilleriegeschosses berechnen, das mit einer bestimmten Geschwindigkeit in einem bestimmten Winkel abgefeuert wurde. Das waren Selbstverständlichkeiten. Bevor sie den Artikel in Popular Science las, war sie jedoch niemals auch nur eine Sekunde lang von Mathematik fasziniert gewesen und hatte nie darüber nachgedacht, dass auch das Einmaleins Mathematik war. Das Einmaleins war etwas, was sie an einem Nachmittag auswendig gelernt hatte, und es ging ihr nicht in den Kopf, warum ihr Lehrer noch ein ganzes Jahr darauf herumreiten musste.
    Aber dann war ihr mit einem Schlag die unbeirrbare Logik aufgegangen, die hinter den Gedankengängen und Formeln stecken musste, und sie war in der Mathematikabteilung der Universitätsbuchhandlung gelandet. Doch erst als sie Dimensions in Mathematics aufschlug, hatte sich eine ganz neue Welt vor ihr aufgetan. Eigentlich war die Mathematik nichts anderes als ein logisches Puzzle mit unendlichen Variationen - Rätsel, die man lösen konnte. Der Trick war nicht der, Rechenaufgaben zu lösen. Fünf mal fünf machte immer fünfundzwanzig. Der Trick lag vielmehr in der Kombination der verschiedenen Rätsel, die es ermöglichte, jedes beliebige mathematische Problem zu lösen.
    Dimensions in Mathematics war genau genommen kein Lehrbuch, sondern ein 1 200 Seiten dicker Wälzer über die Geschichte der Mathematik von den alten Griechen bis zum gegenwärtigen Versuch, die sphärische Astronomie zu beherrschen. Es galt als Bibel und bedeutete nicht weniger, als die Arithmetica von Diophantos damals (und auch heute noch) für seriöse Mathematiker bedeutete. Als sie auf der Terrasse des Hotels am Grand Anse Beach zum ersten Mal die Dimensions aufschlug, war sie auf einmal in einer verhexten Welt aus Zahlen gelandet, im Buch eines Verfassers, der ebenso pädagogisch wie unterhaltsam war. Lisbeth konnte die Mathematik von Archimedes bis hin zum heutigen Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien verfolgen. Sie begriff, wie die Methoden aussahen, mit denen sie ihre mathematischen Probleme lösten.
    Der Satz des Pythagoras (a 2 + b 2 = c 2 ), den er ungefähr 500 vor Christus formuliert hatte, wurde für sie zum Aha-Erlebnis. Plötzlich verstand sie den Inhalt des Satzes, der ihr schon in der Schule - bei einer der wenigen Schulstunden, die sie besucht hatte - untergekommen war . In einem rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrate über den Katheten . Sie war fasziniert von Euklids Entdeckung, dass eine perfekte Zahl immer ein Vielfaches von zwei Zahlen ist, von denen die erste eine Potenz von 2 ist und die zweite die Differenz zwischen der
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