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Verdammnis

Verdammnis

Titel: Verdammnis
Autoren: Stieg Larsson
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mit ausdrucksloser Miene, weder Wärme noch Freundschaft im Blick. Dann ging sie an ihm vorbei und steckte den Schlüssel in ihr Türschloss.
    »Lädst du mich auf eine Tasse Kaffee ein?«, fragte Mikael.
    Sie drehte sich zu ihm um und sagte leise:
    »Geh weg. Ich will dich nie wieder sehen.«
    Dann schlug sie einem völlig verblüfften Mikael Blomkvist die Tür vor der Nase zu, und er hörte, wie sie von innen abschloss.
    Nur drei Tage später sah er sie noch einmal. Er hatte die U-Bahn von Slussen bis T-Centralen genommen, und als der Zug gerade in Gamla Stan hielt, sah er aus dem Fenster und entdeckte sie auf dem Bahnsteig, nicht einmal zwei Meter von ihm entfernt. Er erkannte sie im selben Augenblick, in dem die Türen zugingen. Fünf Sekunden lang blickte sie direkt durch ihn hindurch, als wäre er aus Luft. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand aus seinem Blickfeld, während sein Zug wieder anfuhr.
    Die Botschaft war eindeutig. Lisbeth Salander wollte nichts mehr mit Mikael Blomkvist zu tun haben. Sie hatte ihn genauso effektiv aus ihrem Leben gelöscht wie eine Datei von ihrem Computer, ohne weitere Erklärungen. Sie änderte ihre Handynummer und beantwortete auch keine Mails mehr.
    Mikael seufzte, schaltete den Fernseher aus, trat ans Fenster und betrachtete das Rathaus.
    Er fragte sich, ob er einen Fehler machte, wenn er weiterhin in regelmäßigen Abständen stur bei ihr vorbeiging. Eigentlich gehörte Mikael zu den Männern, die ihrer Wege gehen, wenn ihnen eine Frau deutlich zu verstehen gibt, dass sie nichts mehr von ihnen wissen will. Eine solche Botschaft nicht zu respektieren war für ihn gleichbedeutend mit einem Mangel an Respekt.
    Mikael und Lisbeth hatten miteinander geschlafen. Aber die Initiative war von ihr ausgegangen, und ihr Verhältnis hatte nur ein halbes Jahr gedauert. Wenn sie diese Geschichte also genauso abrupt beenden wollte, wie sie sie angefangen hatte, war das für ihn völlig okay. Das war ihre Entscheidung. Er hatte kein Problem damit, mit der Rolle des Exfreunds klarzukommen - wenn er es denn war -, aber Lisbeth Salanders totale Distanz verwirrte ihn.
    Verliebt war er nicht in sie - sie waren ungefähr so verschieden, wie zwei Menschen nur irgend sein können -, doch er mochte sie, und diese furchtbar anstrengende Person Lisbeth Salander fehlte ihm tatsächlich. Irgendwie hatte er geglaubt, ihre Freundschaft beruhe auf Gegenseitigkeit. Kurz und gut, er kam sich vor wie der letzte Idiot.
    Er blieb eine ganze Weile am Fenster stehen.
    Schließlich fasste er einen Entschluss.
    Wenn Lisbeth ihn wirklich auf den Tod nicht mehr ausstehen konnte und es sogar zu viel verlangt war, dass sie sich bei einer Begegnung in der U-Bahn grüßten, dann war ihre Freundschaft höchstwahrscheinlich vorbei und der Schaden nicht wiedergutzumachen. Ab jetzt würde er keinen Versuch mehr starten, wieder Kontakt mit ihr aufzunehmen.
     
    Lisbeth Salander sah auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie völlig durchgeschwitzt war, obwohl sie die ganze Zeit nur im Schatten gesessen hatte. Es war halb elf Uhr morgens.
    Sie memorierte eine dreizeilige mathematische Formel und schlug wieder ihr Buch Dimensions in Mathematics auf. Dann nahm sie ihren Zimmerschlüssel und die Zigarettenschachtel vom Tisch.
    Ihr Zimmer war im zweiten Stock, mehr Etagen hatte das Hotel nicht. Sie zog sich aus und ging unter die Dusche. Eine zwanzig Zentimeter lange grüne Eidechse, die direkt unter der Decke an der Wand saß, glotzte auf sie herunter. Lisbeth glotzte zurück, machte aber keine Anstalten, das Tier zu verscheuchen. Diese Eidechsen waren überall auf der Insel. Sie schlüpften durch die Jalousien der offenen Fenster, krabbelten unter der Tür hindurch oder gelangten über den Lüftungsschacht vom Bad ins Zimmer. Sie fühlte sich ganz wohl mit dieser Gesellschaft, die sie im Großen und Ganzen nicht weiter belästigte. Das Wasser war kalt, aber nicht eisig, und sie blieb fünf Minuten unter der Dusche, um sich abzukühlen.
    Als sie wieder ins Zimmer kam, blieb sie nackt vor dem Garderobenspiegel stehen und musterte staunend ihren Körper. Sie wog immer noch gerade mal vierzig Kilo bei einer Größe von knapp 1 Meter 50. Dagegen konnte sie nicht allzu viel ausrichten. Sie hatte puppenartig dünne Gliedmaßen, kleine Hände und schmale Hüften.
    Aber jetzt hatte sie Brüste.
    Sie war ihr Leben lang flachbrüstig gewesen, so wie vor ihrer Pubertät. Es sah einfach lächerlich aus, und sie war immer ein
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