Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verborgene Lust

Verborgene Lust

Titel: Verborgene Lust
Autoren: Evie Blake
Vom Netzwerk:
bist«, sagt sie.
    Maria weicht dem Blick ihrer Mutter aus, er ist zu intensiv und ängstigt sie. Sie beginnt, an ihrem Entschluss zu zweifeln. Hier in Venedig ist sie sicher. Warum sollte sie weggehen?
    »London ist ganz anders«, spricht ihre Mutter weiter. »Es ist eine sehr große Stadt, viel größer als Venedig. Und sie hat unter dem Krieg gelitten. Dort geht es rauer zu.«
    Pina legt ihrer Mutter beruhigend eine Hand auf den Arm.
    »Sie wird es gut haben, Belle«, bemerkt sie sanft.
    Ihre Mutter lässt die Arme sinken, und instinktiv umarmt Maria die beiden Frauen. Sie atmet tief den Rosenduft ihrer Mutter ein und Pinas noch tröstlicheren Geruch nach Karamell und Vanille. Die Glocke schlägt zum Aufbruch der Fähre, und Maria weiß, entweder fährt sie jetzt oder nie. Wenn sie heute nicht abreist, schafft sie es nie, sich von der Liebe ihrer Mutter zu lösen. Die Trennung ist zu schmerzhaft, und dennoch hat sie seit Jahren von diesem Augenblick geträumt, während der dunklen Kriegsjahre voller Angst, wenn sie stundenlang in den verlassenen venezianischen Palästen getanzt und ihr junger geschmeidiger Körper in den blinden Spiegeln und staubigen Fensterscheiben geschimmert hatte. Auch ihre Mutter will, dass sie fährt. Sie hat sie stets zum Tanzen ermutigt und sie immer wieder daran erinnert, dass ihre Großmutter väterlicherseits eine spanische Tänzerin war, dass ihr das Tanzen im Blut liege.
    »Das ist deine Berufung, Liebes«, hatte sie erklärt.
    Doch ihre Mutter redete nur, sie handelte nicht. Pina hatte ihr tatsächlich geholfen, ihren Traum zu verfolgen. Sie hatte die richtige Tanzlehrerin für Maria gefunden, eine Jüdin französisch-amerikanischer Abstammung namens Jacqueline, die sie den ganzen Krieg über bei sich versteckt hatten. Sie brachte Maria nicht nur das Tanzen, sondern auch Englisch und Französisch bei. Jacqueline hatte sie vor über einem Jahr verlassen. Bis vor zwei Monaten hatten sie nichts mehr von ihr gehört, dann schrieb sie Belle und Pina, dass sie eine Stelle als Lehrerin an der Lempert Dance School in London angenommen habe. Auf Jacquelines Empfehlung hin bot der Leiter der Schule, Bruno Lempert, Maria einen Platz dort an. Diese Gelegenheit durfte sich Maria auf keinen Fall entgehen lassen. Sie würde dort mit dem Ballett Jooss trainieren, einer der führenden Kompanien Europas. Man offerierte ihr die Chance ihres Lebens auf einem Silbertablett.
    »Denk daran, dass du hart arbeiten musst«, ermahnt Pina sie mit ernster Miene. Maria weiß, dass sie Belle zuliebe ihre Gefühle unterdrückt.
    »Ach, ich weiß nicht«, hebt Maria an. »Vielleicht sollte ich bleiben.«
    Ihre Mutter schüttelt heftig den Kopf, obwohl ihr zugleich die Tränen in die Augen schießen.
    »Auf keinen Fall, junge Dame«, erklärt sie, nimmt den Koffer und schiebt ihre Tochter förmlich auf die Fähre. »Du tust das nicht nur für dich, sondern für uns alle.«
    Jetzt sind sie voneinander getrennt; Pina und ihre Mutter stehen am Kai und Maria an der Reling des schaukelnden Bootes.
    »Pass auf«, ermahnt Pina sie.
    Maria runzelt die Stirn. »Worauf?«
    »Sie meint, du sollst dich vor den Männern hüten«, erklärt ihre Mutter lächelnd trotz der Tränen. »Und sie hat recht, Liebes, lass dich nicht ausnutzen.«
    »Natürlich nicht«, antwortet Maria voller Überzeugung und drückt ihren Koffer an die Brust. Sie meint, was sie sagt, denn sie versucht, sich nicht für Männer zu interessieren. Auch wenn ihre Mutter ihren Vater idealisiert und nie ein schlechtes Wort über ihn verloren hat, hat er sie in Marias Augen verlassen. Er hat seine Tochter nie kennengelernt. Belle meint, er sei tot, aber wenn Maria wissen will, wo oder wie er umgekommen ist, kann Belle es nicht erklären. Er könnte noch irgendwo leben, oder? Wenn dem so war, hatte er nie versucht zurückzukommen – wie konnte er sie alle in dem Glauben lassen, er sei tot?
    Pina war ihr ganzes Leben lang da gewesen. Maria hatte sich rundum wohl gefühlt mit ihrer Mutter und deren Geliebten. Es erschien ihr die ideale Beziehung zu sein: zwei Frauen, die sich in jeder Hinsicht verstanden. Völlige Harmonie und kein patriarchalischer Ärger. Das sagte Pina immer. Wenn sie selbst doch nur Frauen lieben könnte, aber Maria muss zugeben, dass sie sich nicht zu anderen Mädchen hingezogen fühlt. Manchmal ertappt sie sich dabei, wie sie einen Mann beobachtet. Aus irgendeinem Grund sind es meist Männer, die älter als sie sind. Dann reißt sie sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher