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Verborgene Lust

Verborgene Lust

Titel: Verborgene Lust
Autoren: Evie Blake
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Maria
1955
    Letzte Nacht hat sie wieder von Paris geträumt. In der Dämmerung lief sie durch die schmalen Gassen von Saints-Germain-des-Prés. Es war die Zeit, zu der sie immer zum Spielen hinausgegangen waren, damals, als die Stadt kurz nach der Befreiung noch angeschlagen und verwundet war. Sie hatte nach ihm gesucht. In dem dämmerigen Licht huschten malvenfarbene Schatten in diese und jene Richtung und lockten sie auf eine falsche Fährte. Verzweifelt eilte sie die Straßen hinunter und rutschte über das glatte Kopfsteinpflaster.
    Doch sie fand ihn nicht. Sie suchte im Le Flore nach ihm, aber das Café war so gut wie leer. Nur Monsieur Boubal stand hinter der Bar, trocknete mit einem weißen Leinentuch Weingläser ab und musterte sie mit kühlem, überheblichem Blick. Du gehörst nicht mehr hierher , las sie in seinen Augen.
    Sie suchte in jedem Club nach ihm. Während sie sich durch die dichte Menge junger Pariser und Amerikaner drängte, beschleunigten die harten Jazzrhythmen ihren Herzschlag. Die Jungs hatten schmutzige kleine Bärte, die Mädchen lange strähnige Haare und stumpfe Ponys, und alle starrten sie mit leerem Blick an. Sie wusste, was sie dachten. Was machst du hier? Du gehörst nicht mehr zu uns .
    Dann war sie wieder zurück in den dunklen Straßen und lief und lief. Als sie um eine Ecke bog, ragte die Abtei vor ihr auf, und sie entdeckte das Hotel. Erleichterung durchströmte sie. Ganz bestimmt würde sie ihn dort finden. Sie lief durch die Eingangshalle und ignorierte Madame Paget mit ihrem mürrischen Blick. Sie stellte sich vor, dass sie sagte: Verschwinde hier! Du gehörst nicht zu uns .
    In dem Käfig des klapprigen alten Aufzugs ging es hinauf. Wie könnte sie den je vergessen? Dann lief sie den dunklen Flur hinunter. Als sie die Tür zu ihrem Zimmer aufstieß, schlug ihr das Herz bis zum Hals – aber es war leer. Auf dem Bett lagen die zerwühlten Laken, auf der Fensterbank stand die leere Weinflasche mit den drei verwelkten Geranien, auf dem Boden der leere Koffer und auf dem Stuhl, als hätte sie dort auf sie gewartet, seine Kamera. Doch er war nicht da. Verzweifelt betrat sie das Zimmer, nahm die Kamera und wiegte sie in den Händen. Er würde zurückkommen. Er musste. Hilflos ließ sie sich auf einem Stuhl nieder, und auf einmal flackerten Bilder aus ihrer Erinnerung wie in einem ihrer Filme über die Wand über dem Bett. Sie sah, wie er ihre Nippel streichelte. Wie sich ihre Lippen berührten, wie er auf ihr lag und in ihr war. Die Bilder waren körnig und wie mit Weichzeichner aufgenommen, doch sie bohrten sich wie Messerklingen in ihr Herz. Sie hatte sich ganz und gar ihrer Liebe hingegeben. Sie war besessen von ihr. Wie sollte sie ohne sie leben?
    Schweißgebadet und mit trockenem Mund erwachte Maria. Ihr Körper pulsierte vor Lust. Sie spürte ein starkes Ziehen im Unterleib, legte die Hände zwischen die Beine und berührte sich. Nein! Energisch warf sie die Laken zurück. Sie blieb auf dem Rücken liegen und wartete, bis ihr Körper etwas abgekühlt war, bis sich ihr Herzschlag beruhigt hatte und sie die Kontrolle über sich zurückgewann, über ihren Körper, der die dunkle Seite der Leidenschaft fast vergessen hatte. Vorsichtig stieg sie aus dem Bett. Als sie aus dem Schlafzimmer in den Flur wankte, holte sie das Gefühl des kalten Fußbodens unter ihren heißen Fußsohlen zurück in die Realität. In ihrer Wohnung herrschte Stille. Kein Geräusch drang von draußen herein. Mailand schlief noch. Sie blieb stehen und hob den Blick zu dem Kreuz, das über dem Flurtisch hing. Sie schloss die Augen, faltete fest die Hände und betete zu Jesus, ihrem Erlöser, dass Er ihr Frieden schenken möge. Doch auch Er vermochte es nicht, ihr Trost zu spenden. In diesen Nächten tröstete sie nur eins.
    Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer ihrer Tochter und schlich auf Zehenspitzen hinein. Da Tina Angst vor der Dunkelheit hatte, brannte in der Ecke eine Lampe. Das Zimmer war ein goldenes Heiligtum. Die Regale waren mit Büchern und Puppen vollgestellt, an den Wänden hingen Bilder von Feen und Zauberern – Märchenträume einer Sechsjährigen. Maria setzte sich auf den Stuhl am Bett ihrer Tochter und blickte auf sie hinab. Als sie ihr das Haar aus der Stirn strich und sich vorbeugte, um sie zu küssen, überkam sie ein schlechtes Gewissen, dass sie das Kind störte. Die Lider des Mädchens flackerten, dann schlug es die Augen auf und blickte seine Mutter schlaftrunken und verwirrt an.
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