Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
meinem Konto angekommen war, und nahm mir dann ein Taxi zum Flughafen. Diesmal verließ ich das Land unter meinem eigenen Namen.
    »Ich hätte gern ein Ticket nach Europa«, sagte ich zu der ungerührt blickenden Frau am Schalter.
    »Wohin in Europa?«
    »Gute Frage. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.«
    »Ach was«, sagte sie, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und starrte über meine Schulter an mir vorbei. Ich glaube, sie hielt nach einer Fernsehkamera Ausschau.
    »Wohin geht der nächste Flug, der mich in die Nähe von Europa bringt?«
    Sie starrte mich noch ein paar Sekunden lang an, tippte dann etwas mit Lichtgeschwindigkeit in ihren Computer. »In eineinhalb Stunden geht ein Flug nach Tschechien.«
    Tschechien? Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, sie würde Paris sagen, und dann hätte ich geantwortet: »Ich glaube, Paris ist wunderbar zu dieser Jahreszeit.«
    »Wollen Sie das Ticket oder nicht?«
    »Sicher. Ich glaube, Tschechien ist wunderbar zu dieser Jahreszeit.«
    Nachdem ich das Ticket gekauft und mein Gepäck aufgegeben hatte, aß ich ein vegetarisches Samosa für zehn Dollars, das schlechter schmeckte als ein Sieben-Gänge-Menü aus Briefmarken. Dann ging ich zu einer Telefonzelle und schaute im Branchenbuch nach, ob es Stanley, den Verleger von Strangeways Publications, der Harry Wests Handbuch des Verbrechens veröffentlicht hatte, noch gab.
    Da stand es, schwarz auf weiß. Ich wählte.
    »Hallo?«
    »Hi. Ist da Stanley?« »Ja.«
    »Verlegen Sie noch Bücher?« »Männermagazine.«
    »Ich habe ein Buch geschrieben, das Sie interessieren könnte.«
    »Männermagazine, habe ich gesagt. Sind Sie taub? Ich verlege keine Bücher.«
    »Es ist eine Biografie.« »Ist mir egal. Von wem?« »Martin Dean.«
    Ich hörte, wie am anderen Ende tief Luft geholt wurde. So tief, dass ich beinahe durch den Hörer gesaugt wurde. »Wer sind Sie?« »Sein Sohn.«
    Schweigen. Dann hörte ich, wie auf einem Schreibtisch Papiere herumgeschoben wurden, dann, wie etwas sortiert wurde, das nicht wie Papier klang.
    »Jasper, stimmt's?«, fragte Stanley.
    »Stimmt.«
    »Wollen Sie zu mir in mein Büro kommen?« »Ich schick es einfach mit der Post, wenn Ihnen das recht ist. Ich bin auf dem Weg nach Übersee und weiß nicht, wie lange ich
    fortbleibe und ob ich überhaupt wiederkomme. Machen Sie damit einfach, was Sie für richtig halten.«
    »Gut. Haben Sie meine Adresse?«
    »Hab ich.«
    »Ich bin gespannt darauf, das zu lesen. He, tut mir leid, das mit Ihrem Dad.«
    Ich legte auf, ohne etwas zu erwidern. Ich wusste einfach nicht, tat es ihm leid, dass Dad gestorben war oder dass er mein Vater gewesen war.
    Nun sitze ich in der Flughafenbar und trinke ohne guten Grund ein teures japanisches Bier. Am Tisch neben mir sitzt eine Frau mit einer Katze in einer Transportbox. Sie spricht mit der Katze und nennt sie John. Leute, die ihren Haustieren Menschennamen geben, deprimieren mich ohne Ende. Ich höre zu, wie sie weiterschwatzt, und es wird noch schlimmer. Die Katze heißt nicht bloß John, sie heißt John Fitzpatrick. Das ist zu viel des Guten.
    Nun, da ich unsere Geschichte in sämtlichen magenumdrehenden, haarsträubenden, zum Nägelkauen, Lippenzupfen, Kettenrauchen und Zähneknirschen anregenden Details erzählt habe, frage ich mich: War es das wert? Nicht, dass ich damit eine umwälzende Veränderung auslösen oder eine schon stattfindende abschließen möchte. Bevor ich anfing, war ich kein Schriftsteller, aber das Schreiben macht einen dazu. Im Grunde weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt Schriftsteller sein möchte. Hermann Hesse hat mal was in der Art gesagt, dass wahre schöpferische Kraft den Menschen einsam macht und ihm etwas abverlangt, das die Lebensfreude mindert. Hört sich nicht unbedingt nach Vergnügen an.
    Gerade wird mein Flug aufgerufen. Ich schreibe noch ein paar Zeilen, bevor ich den Brief für Stanley in den Kasten werfe. Was könnte ein passender Schlussgedanke sein?
    Vielleicht sollte ich einige semitiefschürfende Betrachtungen über mein Leben anstellen.
    Oder darüber, dass fallende Anker manchmal nicht schnell genug reagierende Fische treffen.
    Oder darüber, dass Speichelschlucken nur die Unterdrückung eines heftigen Verlangens ist.
    Oder darüber, dass die Menschen zwar die jüngst Verstorbenen betrauern, aber nie die, die schon lange tot sind.
    Oder darüber, wie gelehrte Idioten ihre Ärzte frappieren, Versager ihren Vätern die Schuld geben und Nulpen ihren Kindern.
    Oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher