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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen
Autoren: Steve Toltz
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tiefschwarz.«
    Der Obdachlose in der Gosse war aufgewacht und ließ seinen Blick zwischen halb geöffneten Lidern verstohlen zwischen Anouk und mir hin und her wandern. Er hatte ein gelangweiltes Grinsen im Gesicht, als wollte er sagen, dass er das alles schon mal gehört habe. Hatte er vielleicht auch.
    »Und was hast du nun vor?«
    »Wir müssen die Menschen von dieser Sucht heilen, sonst sieht es düster aus.« »Wir.« »Ja, Jasper.«
    Ich sah den Betrunkenen in der Gasse an, um mich zu vergewissern, dass ich mir dies alles nicht bloß einbildete. Wollte ich Anouk bei ihrem Plan helfen? Klar, ich könnte die Kontrolle über die Zeitungen übernehmen, Schlagzeilen im Sinne von »Diese Zeitung verhindert selbstständiges Denken« drucken und Anouks Absicht, die Sucht nach Nachrichten zu bekämpfen, umsetzen, indem ich die Nachrichten trocken und langweilig machte - das Programm begrenzen, über banale und positive Ereignisse berichten (Großmütter legen schöne Gärten an, Footballstars essen mit ihren Familien zu Mittag) und Massenmördern ihren Platz am Promifirmament verweigern.
    Aber das Letzte, was ich wollte, war, mich im Rampenlicht zu bewegen. Die breite Masse tendierte immer noch dazu, vor Wut zu schäumen, wenn mein Vater erwähnt wurde, und diese Menschen würden mich hassen, egal, was ich tun würde. Alles, was ich wollte, war, in nicht Englisch sprechenden Menschenmengen unterzutauchen und in allen Städten der Welt die zahllosen Geschmacksrichtungen von Frauen in engen T-Shirts kosten. Und Anouk kam mir da mit ihrer Nachrichtenabteilung?
    »Anouk, machen wir's so: Du fängst schon mal ohne mich an. Ich ruf dich in sechs Monaten an, um zu hören, wie du zurechtkommst. Und dann komm ich vielleicht und unterstütze dich. Aber es ist ein großes Vielleicht.«
    Sie gab ein komisches Geräusch von sich und begann, schwer zu atmen. Ihre Augen wurden irgendwie runder. Beinahe wäre ich schwach geworden. Es ist schon schwer genug, durchs Leben zu gehen und sich jeden zweiten Tag selbst zu enttäuschen, aber andere zu enttäuschen, macht einen auch fertig. Deswegen sollte man niemals ans Telefon gehen oder die Tür öffnen. Dann muss man auch nie Nein zu jemandem sagen.
    »Okay, Jasper. Aber ich will, dass du noch eines machst, bevor du abreist.«
    »Und das wäre?«
    »Schreib einen Nachruf auf deinen Dad, den ich in der Zeitung bringen kann.«
    »Wozu? Den Leuten ist das egal.«
    »Aber mir nicht. Und dir auch nicht. Und ich kenne dich - du hast dir höchstwahrscheinlich nicht erlaubt, in irgendeiner Form um deinen Vater zu trauern. Ich weiß, er war eine Nervensäge, aber er hat dich geliebt und dich zu dem gemacht, was du bist. Du schuldest es ihm und dir selbst, etwas über ihn zu schreiben. Ob es schmeichelhaft oder beleidigend ist, was du schreibst, ist egal. Hauptsache, es ist wahr, kommt von Herzen und ist nicht nur Kalkül.«
    »Okay.«
    Wir stiegen wieder ins Auto, und der Obdachlose sah uns mit einem lächelnden Blick nach, der unverkennbar bedeutete, dass er gerade ein Gespräch zwischen zwei Menschen mit angehört hatte, die sich viel zu wichtig nahmen.
     
    Der Wagen hielt vor meinem Haus. Wir saßen auf der Rückbank und schauten einander an, kaum dass einer mal blinzelte oder sich bewegte.
    »Und ich kann dich wirklich nicht dazu überreden, noch ein paar Monate in Australien zu bleiben?«
    Sie schien mehr als sonst etwas ein freundliches Gesicht um sich zu brauchen, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, meines nach Europa zu verfrachten.
    »Tut mir leid, Anouk. Ich muss das einfach machen.«
    Sie nickte und schrieb mir einen Scheck über fünfundzwanzigtausend Dollars aus. Ich war unendlich dankbar, aber nicht so dankbar, dass ich mir nicht wünschte, es wäre mehr gewesen.
    Wir gaben uns einen Abschiedskuss, und es brach mir fast das Herz, den schwarzen Mercedes entschwinden zu sehen. Doch ich riss mich zusammen, schon aus Gewohnheit. Dann ging ich zur Bank und ließ den Scheck meinem Konto gutschreiben. Ich würde nun drei Tage warten müssen, bevor ich darüber verfügen und mir ein Ticket nach irgendwo kaufen könnte. Drei Tage erschienen mir viel zu lange.
    Als ich nach Hause kam, legte ich mich aufs Sofa, starrte an die Decke und versuchte, nicht an den Umstand zu denken, dass auf dem Sofa Katzenhaare waren, die gestern noch nicht da gewesen waren. Da ich keine Katze hatte, hatte ich keine Erklärung dafür. Ein weiteres unergründliches und sinnloses Rätsel des Lebens.
    Ich
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