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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen
Autoren: Steve Toltz
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Es gibt durchaus einiges, für das ich meinen Hals riskieren würde, doch eine lumpige Matratze zählt bestimmt nicht dazu. Die Matratze zwischen sich, blieben die beiden in der Tür stehen.
    »Kommst du?«, fragte mich der Kleinere von beiden.
    »Wohin?«
    Ist deine Matratze«, erwiderte er schlicht. »Dein gutes Recht, sie selbst anzuzünden.«
    Ich stöhnte. Der Mensch und seine Normen! Selbst in einem Hexenkessel der Gesetzlosigkeit muss er sich noch an einen Kodex halten, so bitter hat er es nötig, sich vom Tier abzugrenzen.
    »Lass mal.«
    »Wie du willst«, sagte er ein wenig enttäuscht. Er murmelte seinem Kumpel etwas in einer fremden Sprache zu, der lachte auf, und sie machten sich davon.
    Hier ist immer was los: Wenn nicht gerade eine Gefängnisrevolte angezettelt wird, versucht jemand auszubrechen. Und diese fruchtlosen Bemühungen helfen mir, das Positive an der Inhaftierung zu sehen. Anders als die, die sich da draußen in guter Gesellschaft am Riemen reißen müssen, brauchen wir hier drin unser tagtägliches Elend nicht als Schande zu empfinden. Hier haben wir immer einen vor Augen, dem wir die Schuld an unserem Scheitern geben können - einen in blank polierten Stiefeln. Deswegen kann mir die Freiheit gestohlen bleiben, denn in der wirklichen Welt bedeutet Freiheit, seine Urheberschaft zuzugeben, auch wenn die Geschichte erstunken und erlogen ist.
     
    Wo soll ich mit meiner Geschichte beginnen? Die Erinnerungen machen es einem nicht gerade leicht: wie sich entscheiden zwischen denen, die darauf brennen, erzählt zu werden, denen, die noch reifen müssen, denen, die bereits runzlig werden, und denen, die dazu prädestiniert sind, durch die Sprachmangel gedreht und dabei zerrieben zu werden? Eines jedenfalls ist sicher: Nicht über meinen Vater zu schreiben, würde meine geistigen Kräfte übersteigen. Alle meine Gedanken, in denen Dad gar nicht auftaucht, kommen mir vor wie eine sehr durchschaubare Taktik, die Gedanken an ihn zu unterdrücken. Warum aber sollte ich das tun? Mein Vater hat mich für meine bloße Existenz bestraft, und nun bin ich an der Reihe, ihn für seine bloße Existenz zu bestrafen. Wie du mir, so ich dir.
    Das eigentliche Problem jedoch ist: Gemessen an unser beider Leben, komme ich mir ganz klein vor. Es überragt uns um ein Vielfaches. Wir haben auf eine Leinwand gemalt, die größer war, als es uns eigentlich zustand, sind durch drei Kontinente gezogen, von der Unauffälligkeit ins Rampenlicht, von Städten in den Dschungel, trugen zuerst Lumpen, dann Designerfetzen, wurden im Stich gelassen von unseren Geliebten und von unseren Körpern, wir haben uns erniedrigt und beleidigt, erst im nationalen Rahmen, dann im kosmischen Maßstab. Und das alles kaum je ohne eine Umarmung, die uns aufgebaut hätte. Wir waren behäbige Leute auf Abenteuerfahrt, wir spielten mit dem Leben, aber für den ganz großen Einsatz hat es nicht gereicht. Wo also soll ich mit dem Bericht von unserer schrecklichen Odyssee ansetzen? Machs nicht zu kompliziert, Jasper. Vergiss nicht, dass die Vereinfachung komplexer Zusammenhänge die Menschen zufriedenstellt, nein, geradezu begeistert. Abgesehen davon, meine Geschichte ist verdammt gut - und zudem auch noch wahr. Ich weiß nicht, warum, aber darauf scheinen die Leute Wert zu legen. Mich selber hingegen würde es vor Neugier kaum auf dem Stuhl halten, wenn mir einer sagen würde: »Ich muss dir ne tolle Geschichte erzählen, und jedes Wort davon ist glatt gelogen!«
    Ich kann es genauso gut jetzt gleich zugeben: Was folgt, handelt zu gleichen Teilen von meinem Vater wie von mir. Ich finde es grässlich, dass niemand seine Lebensgeschichte erzählen kann, ohne seinen Erzwidersacher zu einer Berühmtheit zu machen, aber das liegt nun mal in der Natur der Sache. Und die Sache ist die: Ganz Australien verachtet meinen Vater wohl wie keinen Zweiten, genauso wie sie seinen Bruder, meinen Onkel, wie keinen Zweiten verehren. Und deshalb möchte ich die Geschichten über die beiden richtigstellen, will dabei aber weder Ihre Liebe zu meinem Onkel erschüttern noch den Hass auf meinen Vater ins Gegenteil verkehren, vor allem nicht, wenn dieser Hass so richtig abgrundtief ist. Ich will kein Spielverderber sein, falls Ihr Hass Ihnen dabei hilft, sich schneller darüber klar zu werden, wen Sie lieben.
    Eines aber muss ich vorher noch sagen, nur damit es vom Tisch ist:
    Die Leiche meines Vaters werden sie nie finden.
     
    Die meiste Zeit über konnte ich mich nicht
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