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Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo

Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo

Titel: Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo
Autoren: Gerhard Feix
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Die tote Frau aus dem Fleet
    Die Frau wies mit einer stummen Geste auf den Dritten, der wortkarg ein paar Meter hinter ihnen herstapfte, und schob die Hand ihres Begleiters zurück, die allzu keck den Ausschnitt ihres Kleides attackierte. Sie war keineswegs ärgerlich, denn der Mann neben ihr sollte ja nicht glauben, daß sie seine Annäherung nicht mochte. Im Gegenteil! Aber es war schließlich erst März, die Nächte entsprechend kalt und eine einsturzverdächtige Ruine nicht der Ort, an dem sich eine Frau ihres Schlages so ohne weiteres hingab. „Warte doch, bis wir da sind", bat sie, als ihr Begleiter unvermittelt stehenblieb und seine Attacken forcierte.
    „Ich will aber nicht warten!" erwiderte er, indem er sie unsanft in eine breite Mauerlücke stieß, die einst, als das Haus noch nicht zerbombt war, den Eingang zum Flur bildete.
    „Dein Bruder...", protestierte sie und wandte sich ab. Sie hatte ihm kaum den Rücken zugekehrt, als eine Schlinge ihren Hals umschloß und ihr die Luft nahm. Die Frau schlug in panischer Angst um sich und glitt zu Boden. Schreien konnte sie nicht mehr, nur ein heiseres Krächzen gab ihre geschundene Kehle noch her. Doch auch das erstickte der Mann sofort mit einem Lederhandschuh, den er tief in ihren Rachen stopfte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Frau das Bewußtsein verlor. Dem Manne jedoch, der vor Anstrengung keuchte, kamen sie wie
    Stunden vor. Endlich erschlafften ihre Glieder. Er ließ sie zu
    Boden gleiten, preßte ihren Kopf auf die Erde und verknotete hastig den Leinengurt, der ihm als Drossel Werkzeug gedient hatte, in ihrem Nacken. Dann brannte er ein Streichholz an, ergriff ihre alte, abgetragene Basttasche und entnahm daraus ein ansehnliches Bündel Geldscheine.
    Jetzt kam auch in den anderen Mann Leben, der bisher, nur wenige Meter entfernt an einen brüchigen Mauerpfeiler gelehnt, zugesehen hatte. Nun trat er näher, beugte sich über die Frau, die kein Lebenszeichen mehr von sich gab, und drängte zur Eile. Sie verständigten sich mit wenigen Worten, packten gemeinsam das leblose Bündel und schleppten es zur nahen Ufereinfassung des Fleets am Herrengraben. Dann holten sie einen schweren Betonklotz, der früher einmal als Treppenstufe gedient hatte, und banden die Leiche daran fest. Zuvor aber zogen sie ihr Mantel und Schuhe aus.
    Sie hatten Mühe, das schwere Paket über die Ufermauer ins Wasser zu wuchten. Doch schließlich gelanges, und schon wenige Minuten später hatte die Nacht die beiden Männer verschluckt. Niemand hatte sie gesehen, kein Mensch etwas gehört. Wer hätte in dieser öden, völlig unbewohnten Gegend auch etwas hören sollen? Es gab hier ja nur Ruinen und wenige kleine Werkstätten, die um diese Zeit längst verlassen waren. Höchstens ein paar halbverhungerte Ratten huschten auf Nahrungssuche umher. Nicht einmal einem obdachlosen Vagabunden, von denen es im zerbombten Hamburg des März 1946 wahrlich mehr als genug gab, wäre es eingefallen, in dieser Gegend Unterschlupf zu suchen. So gab es denn - sehr zum Leidwesen des energischen Oberinspektors Stave von der Hamburger Mordkommission -niemanden, der den Mord oder die Täter gesehen hatte. Auch sonst mangelte es an brauchbaren Spuren und Anhaltspunkten.
    In diesem ersten Nachkriegsfrühling in einer zur Hälfte zerbombten Großstadt wie Hamburg einen Mörder zu suchen, das war ein Lotteriespiel, kaum aussichtsreicher als die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuschober. Die Kriminalpolizei war schwach, ungenügend organisiert, schlecht ausgerüstet, unausgebildet und überfordert. Das Verbrechertum hingegen, durch die tiefgreifende politische, wirtschaftliche, soziale und moralische Zerrüttung im Lande begünstigt, gedieh wie nie zuvor. Die Zahl der Gewaltverbrechen wuchs, von den Diebstählen und Schiebereien ganz zu schweigen. Menschen verschwanden spurlos, ohne jemals wieder aufzutauchen. Nach manchen von ihnen wurde gefahndet, von anderen hingegen - und das waren nicht wenige - wußte die Polizei nichts. Auch im vorliegenden Fall hätten die Verbrecher wohl den Sieg davongetragen, wenn ihnen nicht ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen wäre, als sie die Ermordete ausgerechnet im Herrengrabenfleet versenkten. Zur Mordzeit herrschte Flut; das Fleet war folglich randvoll, und sein Wasser erschien so tief wie die Elbe vor Cuxhaven. Am anderen Morgen jedoch, als der Elektriker Heinze von der alten Schiffsklempnerei zur Arbeit ging, war Ebbe und das Fleet so seicht wie ein
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