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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland
Autoren: Robert Harris
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Flammen.
    »Ich nehme an, sie werden mich erschießen, weil ich zugelassen habe, daß du die Waffe gegen mich gerichtet hast. Sie werden sagen,
    ich hätte dich gelassen. Sie werden mich erschießen. O Gott, ist das nicht ein Witz?« Er sah März mit nassen A u gen an. »Was für ei n Witz!«
    »Wirklich ein Witz«, sagte März.

    Als sie die Oder überquerten, war es schon hell. Der graue Fluß erstreckte sich auf beiden Seiten der stählernen Brücke. Zwe i Flußkähne glitten in der Mitte des sich lan g sam bewegenden Wassers aneinander vorüber und dröh n ten sich ein lautes Gutenmorge n zu.
    Die Oder: Deutschlands natürliche Grenze zu Polen. Nur gab es da keine Grenze mehr; es gab kein Polen mehr.
    März starrte geradeaus. Das war die Straße, über die die 10. Armee der Wehrmacht im September 1939 gerollt war. In seinem Geiste sa h er wieder die alten Wochenschauen: die mit Pferden bespannte Artillerie, die Panzer, die Marschkolonnen ... Der Sieg war so leich t erschienen. Wie hatten sie gejubelt!
    Da war das Ausfahrtschild nach Gleiwitz, der Stadt, wo der Krieg angefangen hatte.
    Jäger stöhnte. »Ich bin erledigt, Xavi. Ich kann nicht mehr viel weiter fahren.«
    März sagte: »Ist nicht mehr weit.«

    Er dachte an Globus. »Da gibt es nichts mehr, nicht mal einen Ziegelstein Niemand wird das jemals glauben. Und soll ich Ihnen was sagen? Ein Teil von Ihnen kann das selbst nicht glauben« Das war sein schlimmster Augenblick gewesen, weil es wahr war.

    Eine Totenburg erhob sich nicht weit von der Straße auf einem kahlen Hügel: 4 Türme aus Granit, 5o Meter hoch, umschlossen zum Viereck angeordnet einen bronzenen Obelisken. Während sie vorüberfuhren, schimmerte für einen Augenblick die schwache Sonne in dem Metall wie in einem Spiegel. Es gab Dutzende solcher Tumuli zw i schen hier und dem Ural - unvergängliche Mahnmale für die Deutschen, die gestorben waren - starben, sterben we r den - für die Eroberung des Ostens. Jenseits Schlesiens waren die Autobahnen durch die Steppen auf Dämmen g e baut, damit sie vom Winterschnee freiblieben - einsame Schnellstraßen, die unaufhörlich vom Wind gepeitscht wurden ...

    Sie fuhren noch weitere zwanzig Kilometer über die rauchspeienden Fabrikschlote von Kattowitz hinaus, und dann sagte März zu Jäger, er solle von der Autobahn abfa h ren.

    Er kann sie in seinem Geist sehen.
    Sie verläßt das Hotel. Sie sagt am Empfang: »Sind Sie sicher, daß keine Nachricht gekommen ist? « Die Em p fangsdame lächelt »Keine, Fräulein Voß« Sie hat das ein dutzendmal gefragt. Ein Träger bietet ihr an, beim Gepäck zu helfen, aber sie lehnt ab. Sie sitzt in dem Auto und blickt über den Fluß und liest noch einmal den Brief, den sie in ihrem Koffer versteckt gefunden hat. »Hier ist der Schlü s sel zum Tresor, mein Liebling. Sorge dafür, daß sie eines Tages wieder das Licht erblickt.- Eine Minute vergebt. Noch eine. Und noch eine. Sie blickt stetig nach Norden, in die Richtung, aus der er kommen soll.Schließlich sieht sie auf die Uhr. Dann nickt sie langsam, laßt den Motor an und biegt nach rechts in die ruhige Straße ein.

    Jetzt fuhren sie durch industrialisiertes Land: braune Felder, begrenzt von struppigen He c ken; weißliches Gras; vom Kohlenstau b schwarze Hänge; die hölzernen Türme alter Schächte mit geisterhaft sich drehenden Rädern, wie die Skelette von Windmühlen.
    »Was für ein Scheißloch«, sagte Jäger. »Was passiert hier?«
    Die Straße lief an einem Eisenbahngleis entlang und überquerte dann einen Fluß. Flöße aus gummiartigem Schaum trieben an den Ufer n entlang. Sie befanden sich unmittelbar unterm Wind aus Kattowitz. Die Luft stank nach Chemikalien und Kohle n staub.
    Der Himmel war hier normalerweise schwefelgelb, die Sonne eine orangefarbene Scheibe im Dunst.
    Sie fuhren abwärts, unter einer geschwärzten Eise n bahnbrücke durch, dann über eine Eisenbahnkreuzung. N a he jetzt . . Mär z versuchte, sich an Luthers grobe Faustski z ze zu erinnern.
    Sie kamen an eine Kreuzung. Er zögerte.
    »Nach rechts.«
    An Wellblechhütten vorbei, an ärmlichen Baumgruppen, und ratterten über noch mehr stählerne Gleise ...
    Er erkannte eine aufgegebene Eisenbahnstrecke. »Halt!«
    Jäger bremste.
    »Hier ist es. Du kannst den Motor abstellen«
    Völlige Stille. Nicht einmal ein Vogelruf.
    Jäger sah sich mit Widerwillen auf der engen Straße, den kahlen Feldern mit den fernen Bäumen um. Ödland. »Wir sind ja mitten i m Nichts!«
    »Wie
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