Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
spät ist es?«
    »Gerade nach 9.«
    »Mach das Radio an.«
    »Was soll das? Willst du ein bißchen Musik? Die lustige Witwe?«
    »Mach es einfach an«
    »Welchen Sender?«
    »Der Sender spielt keine Rolle. Wenn es 9 ist, haben alle das gleiche Programm.«
    Jäger drückte auf eine Taste und drehte an einem Wäh l knopf.
    Ein Geräusch wie ein Ozean, der sich an einer felsigen Küste bricht. Als er durch die Frequenzen ging, ve r schwand das Geräusch, ka m wieder, ging wieder verloren und war dann in voller Stärke da: nicht der Ozean, aber Millionen Stimmen, die sich zujubelnd erhoben.
    »Nimm deine Handschellen raus, Max. Gib mir den Schlüssel. Und jetzt feßle dich selbst ans Lenkrad. Tut mir leid, Max.«
    »O Xavi .«
    » Hier kommt er!« schrie der Kommentator . »Ich kann ihn sehen!
    Hier kommt er!«

    Er war mehr als fünf Minuten gegangen und hatte schon fast das Birkenwäldchen erreicht, als er den Hubschrauber hörte. Er sah einen Kilometer zurück, über das wogende Gras hinweg und an den überwachsenen Gleisen entlang. Dem Mercedes hatten sich auf der Straße ein Dutzend a n derer Wagen angeschlossen. Eine Reihe schwarzer Gesta l ten begann, auf ihn zuzukommen. Er drehte sich um und ging weiter.

    Sie hält am Grenzübergang - jetzt. Die Hakenkreuzfahne flattert über dem Kontrollposten. Die Wache nimmt ihren Paß. »Aus welchem Grund verlassen Sie Deutschland?« »Um an der Hochzeit einer Freundin teilzunehmen. In Z ü rich, Er blickt vom Paßfoto zu ihrem Gesicht und wieder zurück und überprüfte die Daten des Visums. »Sie reisen allein?« »Mein Verlobter sollte mitkommen, aber er wurde in Berlin aufgehalten. Er muß seine Pflicht tun. Sie wissen ja, wie das ist« Lächeln, natürlich... So ist es gut, mein Liebling. Niemand kann das besser als du.

    Er suchte den Boden ab. Da mußte etwas sein.

    Ein Beamter befragt sie, ein anderer geht um den W a gen herum.
    »Was für Gepäck führen Sie mit sich?« »Nur Sachen zur Übernachtung. Und ein Hochzeitsgeschenk« Sie setzt eine verdutzte Miene auf »Warum? Ist was nicht in Ordnung? Wollen Sie, daß ich alles auspacke?« Sie beginnt, die Tür zu öffnen ... O Charlie, übertreib es nicht. Die Beamten tauschen Blicke aus ...

    Und dann sah er es. Fast vergraben in der Wurzel eines Schößlings:
    ein Streifen Rot. Er bückte sich und nahm es auf, und drehte es in der Hand. Der Ziegel war von gelblichen Flechten bedeckt, von der Sprengung verbrannt, und ze r bröselte an den Kanten. Aber noch war er solide genug. Er war da. Er kratzte mit dem Daumen an den Flechten h e rum, und der karmesinrote Staub setzte sich unter seinen Nagel wie vertrocknetes Blut. Als er sich bückte, um ihn wieder hinzulegen, sah er andere, halb im fahlen Gras ve r borgen - zehn, zwanzig, hundert ...

    Ein hübsches Mädchen, eine Blondine, ein schöner Tag, ein Feiertag... Die Beamten lesen das Blatt noch einmal durch. Da heißt es nur, Berlin bemühe sich, eine Amerik a nerin zu finden, eine Brünette. »Nein« Er gibt ihr den Paß zurück und winkt dem anderen Beamten zu. »Eine Durc h suchung wird nicht nötig sein, Die Schranke öffnet sich. »Heil Hitler!« sagt er. »Heil Hitler!» antwortet sie. Fahr los, Charlie. Fahr los.
    Es ist, als ob sie ihn hört Sie wendet den Kopfnach O s ten, ihm entgegen, dahin, wo die Sonne frisch am Himmel steht, und als der Wagen anfährt, scheint sie den Kopfz u stimmend zu neigen Über die Brücke: das weiße Kreuz der Schweiz. Das Morgenlicht glitzert aufdem Rhein...

    Sie ist entkommen. Er sah zur Sonne empor und wußte es - wußte es mit absoluter Sicherheit.
    »Bleiben Sie stehen, wo Sie sind!«
    Der schwarze Schatten des Hubschraubers flappte über ihm.
    Hinter ihm Rufe - sehr viel näher jetzt - metallene, rob o terhafte Befehle: »Lassen Sie die Waffe fallen!«
    »Bleiben Sie, wo Sie sind!«
    »Bleiben Sie, wo Sie sind!«
    Er nahm die Uniformmütze ab und schleuderte sie über das Gras, wie sein Vater einst flache Hüpfsteine über den See schleuderte. Dan n zog er die Pistole aus dem Hose n bund, prüfte nach, ob sie geladen war, und bewegte sich auf die schweigenden Bäume zu.

NACHBEMERKUNG
    Viele der Personen, deren Namen in diesem Roman ve r wendet werden, haben wirklich gelebt. Die biograph i schen Einzelheiten sind bis 1942 zutreffend. Ihr späteres Schic k sal hat sich natürlich anders gestaltet.
    Josef Bühler, Staatssekretär im Generalgouvernement, wurde in Polen zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet. Wilhelm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher