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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr
Autoren: Horst Biernath
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Spaziergänge. Im Turm empfing sie dann eine behagliche Wärme, denn er hatte sich einen Ofen neben den Herd setzen lassen, und der neue Ofen hielt genug Glut, um rasch ein neues Feuer zu entfachen und den Wasserkessel zum Singen zu bringen. Sie lebten beide in einem Zustand der Verzauberung. Wenn Lutz auf der Straße Hilde unerwartet begegnete, spürte er, wie ihm der Herzschlag stockte, und wie eine plötzliche Lähmung seinen Schritt hemmte. Er hatte solch eine Stärke des Gefühls noch nie erlebt und wußte, daß alle Berührungen, die er in der Vergangenheit mit Frauen gehabt hatte, niemals zu dieser beglückenden Verschmelzung geführt hatten. Sie waren füreinander bestimmt. Und wenn er je verliebt gewesen war, so war er in die Liebe verliebt gewesen, in die große Strömung, die keine Richtung hat, die sich irgendwohin verlieren will und verlieren muß, in ein Lächeln, in eine Stimme, in ein kleines Wollknäuel, das vorne bellt oder miaut, in einen blühenden Zweig, in einen Frühlingstag oder in den Balzruf eines kleinen Finkenhahns. Aber manchmal geschah eben das große Wunder, daß das wirre Gefühl den Menschen fand, für den es eigentlich und von Urbeginn an bestimmt war, und dieses Wunder war ihnen beiden geschehen. —
    Hilde stellte die Tassen auf, er mahlte den Kaffee, und der Postbote war ohne Nachricht für ihn vorübergegangen.
    »Ich weiß nicht«, murrte er, »weshalb die Brüder in München mich so lange zappeln lassen. Sie brauchen doch nichts weiter zu tun als zu lesen! Ich warte noch acht Tage, und wenn sich dann nichts rührt, dann schreibe ich ihnen, daß sie ein feineres Blatt in die Nervensäge einziehen sollen. Dieses kreischt und geht auf den Knochen!«
    »Was macht dein Struensee?«
    Er machte eine Bewegung, als würfe er einem Sarg eine Handvoll Erde nach.
    »Nicht mehr mein Struensee. Er ist schon geschrieben worden. Von einem Amerikaner. Und leider besser, als ich es jemals fertiggebracht hätte. Ich werde dir das Buch heute mitgeben. Ich wundere mich nur, daß ich nicht vor Neid die Gelbsucht bekommen habe. Aber vielleicht schreibe ich das Buch nach fünfzig Jahren noch einmal. Die Zeit gibt ja immer neue Perspektiven. Und Geschichte ist das, was wir aus der Vergangenheit machen. Sogar die nackten Tatsachen bekommen im Laufe der Jahre ein anderes Gesicht. Es gibt keine unumstößlichen Wahrheiten außer einer einzigen...«
    »Und die lautet?«
    »Ich liebe dich!«
    Sie nahm ihm die Kaffeemühle ab und streifte seine Haare mit einem Kuß.
    »Weshalb fährst du nicht selber nach München?«
    »O nein, ich dränge mich den Brüdern nicht auf. — Aber wenn sie mich noch lange beizen lassen, dann fange ich doch mit einer neuen großen Arbeit an.«
    Er starrte in den dunkelroten Bouclé mit den kleinen weißen Sternen, den er für sein Zimmer neu angeschafft hatte, nachdem es dem Bello noch in den letzten Tagen eingefallen war, die merkwürdigsten Dinge aus dem alten Fleckerlteppich zu zupfen.
    »Weißt du. Liebste, ich möchte einen Familienroman schreiben, eine großangelegte und vielleicht auf tausend Seiten berechnete Geschichte mit einem Stammbaum, der mich vorläufig selber noch ein wenig verwirrt. Aber ich habe mit seiner Anläge bereits begonnen. Mir schwebte dabei die Geschichte einer Familie vor, mit deren Söhnen ich die Schulbank gedrückt habe. Sie entstammten ursprünglich der Weberei, bis es dem Großvater in den Gründerjahren gelang, den großen Sprung zum Fabrikanten zu machen. Seine Söhne waren mit einer einzigen, nicht uninteressanten Ausnahme genauso tüchtig wie der Gründer des Unternehmens und stiegen weiter auf und kamen als Besitzer von Textilfabriken zu enormen Vermögen, die die Enkel, eben meine Schulfreunde, langsam zu verputzen begannen. Sie waren nicht mehr reich, oder zum mindesten war schon manches von dem Reichtum herausgebröckelt, als der Krieg kam und sie durch den Krieg alles verloren, was sie besaßen. Auch die Heimat. Und nun kommt das Erstaunliche. Während drei von den Jungen, es waren vier Söhne da, restlos vor die Hunde gegangen sind, ihr Schicksal beweinen und ich weiß nicht worauf warten, begegnete ich dem jüngsten von ihnen, eben meinem Klassenkameraden, vor einiger Zeit in München wieder. Er stand in einer Bude und verkaufte heiße Wiener Würstchen, und hinter der Bude wurde gebaut, ein ganz anständiges Haus übrigens, in dem ein großes Imbißrestaurant eingerichtet werden soll.«
    »Und das gehört ihm?«
    »Erraten, Liebling,
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