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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr
Autoren: Horst Biernath
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damit verbringen, Architekturzeitschriften und deren Sondernummern über Eigenheimbau zu studieren und eigene Pläne zu entwerfen.
    »Drei Räume, eine Wohnküche und ein Bad, das genügt uns doch vollkommen, Lutz!«
    »Und die Kinder?« fragte er.
    »Bitte, ein Raum für dich, ein Raum für mich, und einer für die Kinder. Die Kinder behalten natürlich ihre richtigen Betten. Aber wir? Kein Mensch hat heute noch ein Schlafzimmer! Es gibt so schöne und praktische Schlafcouches.«
    »Und die Kinder?« fragte er zum zweitenmal.
    »Wie oft soll ich es dir wiederholen?« begann sie.
    »Nein, ich meine ja auch nicht meine Kinder«, sagte er, »sondern deine Kinder, oder vielmehr, unsere Kinder!«
    Sie starrte auf den Bauplanentwurf und fuhr mit dem Bleistift über die projektierten Mauern hin.
    »O Lutz, daran habe ich tatsächlich nicht gedacht! Natürlich, was, um Gottes willen, machen wir mit unsern Kindern? Wir können sie doch nicht auf dem Fußboden schlafen lassen! Aber, vielleicht, wenn man hier« — und der Bleistift zerschnitt einen sparsam genug proportionierten Raum in zwei Hälften, »wenn man hier eine Mauer zwischenstellen würde?«
    »Eine glänzende Lösung, Liebling«, rief Lutz und küßte sie auf die Nase, »sie hat nur einen Nachteil, daß das eine von den beiden Löchern keine Fenster hat.« —
    Das Problem sollte gelöst werden, allerdings auf eine Art, die Lutz nicht erwartet hatte. Das Drehbuch war inzwischen fertig geworden, und er tippte wieder an seinem Roman. Der November hatte die ersten unfreundlichen Tage gebracht, Schnee, der bald zerging, und Winde, die eisig über die Stadt fegten und am Turm rüttelten. Die Kinder kamen von ihren Spielen im Freien schon früh mit rotgefrorenen Händen und nassen Füßen heim. Die Malkästen und Buntstifte wurden aus dem untersten Schrankwinkel vorgeholt, und der Bub fuhr im »Lederstrumpf« wieder mit dem Finger über die Zeilen und bewegte vor Eifer die Lippen. In den Vasen trockneten Strohblumen in der Ofenwärme, und die Lampen wurden früh angezündet. Zuweilen las Lutz den Kindern vor. Stücke aus der deutschen Heldensage oder aus den Sagen des klassischen Altertums. Wenn sie wählen durften, was sie am liebsten zu hören wünschten, dann waren es stets Schillersche Balladen. Der große Rhythmus schien sie zu narkotisieren, auch wenn sie den Inhalt nicht ganz verstanden. Bei den »Kranichen des Ibykus« oder beim »Gang zum Eisenhammer« oder gar beim »Taucher« vergaßen sie wahrhaftig zu atmen.

»Und schaudernd dacht' ich's, da kroch's heran,
regte hundert Gelenke zugleich,
will schnappen nach mir; in des Schreckens Wahn
laß ich los der Koralle umklammerten Zweig;
gleich faßt mich der Strudel... «

    »Es läutet jemand!« unterbrach sich Lutz und lauschte. »Habt ihr nichts gehört?«
    »Grad jetzt«, keuchte der Rudi, »wo's den Jüngling zum Heile nach oben reißt!« Weiß der Himmel, was er sich unter dem Heile vorstellte, vielleicht den Apotheker Heile, dem in Hallfeld die Schwanen=Apotheke gehörte. — »Mei', der Polyp wenn zupackt, grausig muß das sein! I moan, ich wenn der Jüngling gewesen war, ich hätt' mich z'Tod gefürcht'.«
    Lutz hatte sich nicht getäuscht. Die Glocke schepperte zum zweitenmal. Und Lutz klappte den Schiller zu.
    »Hopp, Rudi, lauf rasch 'runter und schau nach, wer da was von uns will.«
    »Laß lieber die Traudl gehen.«
    »Schäm dich! Also los, Traudl, zeig du dem Angsthasen, daß du dich nicht fürchtest!«
    Traudl erhob sich gehorsam. Ganz wohl war ihr nicht dabei. Für alle Fälle ließ sie die Tür weit offenstehen und rannte die Treppe hinab, damit sie sich, falls solch ein klebriger Polypenarm von irgendwoher auf sie zukommen sollte, wenigstens durch Flucht retten konnte.
    Lutz horchte nach unten. Die Tür ging. Nach kurzer Zeit kam Traudl allein wieder herauf.
    »Ein fremder Mann steht unten«, sie lauschte nach hinten, »jetzt kommt er ganz frech hinterdrein. — Zahnlucket ist er, und er hat mich gefragt, ob ich die Traudl bin — und zuerst hat er gefragt, ob du daheim bist, Onkel Lutz, und ich hab' ja gesagt.«
    »Hallo!« rief Lutz ins Treppenhaus und erhob sich, ttm dem Besucher entgegenzugehen. Innerlich wappnete er sich gegen jede Art von Vertreterbesuch, ob sie nun mit Staubsaugern oder Kugelschreibern, zwei Stück für eine Mark, aufkreuzen mochten.
    »Lutz«, kam eine Stimme aus dem Treppenhaus, eine Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam, ohne daß er sie im Augenblick unterbringen
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