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Vanessa, die Unerschrockene

Vanessa, die Unerschrockene

Titel: Vanessa, die Unerschrockene
Autoren: Joachim Masannek
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Verflixt, und der nächste Schütze war ich.
    Natürlich ging Leon ins Tor. Ich schloss meine Augen, verfluchte das Probetraining und lief unsicher an. Ich täuschte links und schoss den Ball mit dem Außenriss hart ins rechte untere Eck. Verdammich, es klappte! Ja, dieses Mal klappte es. Doch Leon war vor dem Ball da und hielt ihn sogar noch fest.
    „Ist das der einzige Trick, den du kannst?“, grinste er, als er an mir vorbei aus dem Tor heraus lief. „Du hast ihn doch schon im Training verpatzt.“
    Jetzt wollte ich gar nicht mehr. Doch Marlon ließ das nicht zu: „Wenn du den hältst, versprech ich dir, dass wir gewinnen“, sagte er in einem Ton, mit dem er mir auch verkauft hätte, dass zwei und zwei fünfeinhalb sind. Auf jeden Fall ging ich wieder ins Tor und wartete dort auf den Elfmeter von Fabi. Der war sich seines Sieges schon sicher. Das sah ich ihm an. Kein Zweifel. Kein Funken Angst davor zu versagen. So lief er an, und so zog er ab. Wieder sah ich den Ball nur kommen und wieder reagierte ich nicht. Ich zuckte nur schreckhaft zusammen, als der Ball vor die Torlatte prallte und ins Feld zurücksprang. Aber damit waren wir wieder im Spiel und den Elfmeter danach schoss Marlon ganz cool aus dem Stand. Das heißt, er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, so lange bis Leon in die rechte Ecke unterwegs war. Dann schob er die Kugel ganz lässig nach links zum Eins zu Eins unentschieden.
    Leon kochte vor Wut und deshalb ließ er Fabi den Vortritt. Ab jetzt herrschte das K.O.–System, und jeder verschossene Elfmeter konnte die Niederlage bedeuten.
    Auch Fabi wusste das, und er hatte aus der Überheblichkeit seines ersten Schusses gelernt. Dieses Mal lief er konzentriert an und zog konzentriert ab. Dieses Mal riskierte er nichts. Er vertraute nur der Festigkeit seines eigenen Schusses. Doch ich hatte die Ecke geahnt und tauchte in sie hinab. Ich streckte und dehnte mich und konnte den Ball doch tatsächlich noch mit den Fingerspitzen erwischen. Doch der Schuss war zu fest. Er trudelte über die Linie und landete schließlich im Netz. Leon und Fabi gingen wieder in Führung und wenn Marlon jetzt patzen würde, hätte ich alles verloren.
    Doch Marlon war cool. Dieses Mal lief er an. Dieses Mal machte auch er keine Sperenzien und schoss den Ball kurz und knapp in den Winkel hinein. Zwei zu zwei – jetzt lag alles bei Leon und mir.
    Noch einmal wollte ich Marlon dazu überreden, für mich zwischen die Pfosten zu gehen, doch wieder lehnte er ab. „Was hast du denn?“, fragte er. „Du hast Fabis Ball doch beinah erwischt. Ja, und dann stell dir Leon vor. Stell dir vor, was er macht, falls du seinen Schuss hältst?“ Er grinste mich an und dann sagte er den entscheidenden Satz: „Komm schon. Ich trau dir das zu.“
    Zehn Sekunden später legte sich Leon den Ball auf den Elfmeterpunkt. Dann lief er an. Ich versuchte, die Ecke zu raten. Wieder rechts oben wie gerade oder links unten, was jeder Rechtsfüßler tut, wenn er nervös und unsicher ist. Doch war Leon nervös? Ich wusste es nicht. Nein, ich glaubte es nicht, und deshalb stieg ich noch vor seinem Schuss hoch in das rechte obere Eck. Ich flog und setzte alles auf eine Karte und, verflixt noch mal, ich hatte Recht. Ich faustete den Ball satt aus dem Winkel heraus.

    Leon erstarrte. Er glaubte es nicht. Keiner schien es zu glauben. Selbst Oma Schrecklich war still. Oder nein. Sie war gar nicht mehr da. Verflixt und zugenäht! Hatte sie so wenig Vertrauen zu mir. Oder nein, was war mit mir? Hatte ich Vertrauen zu mir? Verflixt, ich hatte den Elfmeter gehalten und ich hatte jetzt alles in meiner Hand. Ich konnte das Turnier alleine gewinnen, so wie es Marlon vorausgeplant hatte. Ich schaute zu ihm und er nickte mir zu. Doch ich sah auch seine Nervosität. Mir entging nicht, wie er sich die Unterlippe zerbiss.
    Unsicher und aufgeregt legte ich mir den Ball auf den Elfmeterpunkt hin. Ich zitterte richtig dabei. Dann ging ich zurück, um Anlauf zu nehmen, und dabei fiel mir all das wieder ein, was ich in so einem Moment besser vergessen sollte. Ich dachte zurück an das Training. Ich erlebte alles noch mal. Ja, noch einmal rutschte ich aus und fiel in den Dreck. Noch einmal erschien Leon vor mir und spuckte über mir aus. Noch einmal grinste er so verächtlich, wie er nur konnte, und noch einmal sagte er diesen absolut gemeinen und niederträchtigen Satz: „Tja, was meinst du, Nessie. Hast du die Probe bestanden?“
    Ich konnte das Tor gar nicht mehr
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