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Vanessa, die Unerschrockene

Vanessa, die Unerschrockene

Titel: Vanessa, die Unerschrockene
Autoren: Joachim Masannek
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sehen. Ein gigantischer Leon stand jetzt davor und grinste mich an. Wie sollte ich da nur den Ball hineinschießen? Trotzdem. Ich hatte keine andere Wahl. Langsam und mit weichen Knien lief ich an. Das konnte nichts werden, dachte ich nur, da hielt mich Oma Schrecklich zurück. Sie kam aus der Küche und trug etwas in ihrer Hand.
    „Einen Moment, Kindchen!“, packte sie mich und hielt mir etwas unter die Nase, was so wie sie war: absolut rosa. „Einen Moment. Aber bei diesem Elfmeter solltest du die Schuhe hier tragen!“
    Ich schaute von ihrem Gesicht auf ihre Hände hinab, stellte meinen Blick scharf und sah die rosa Pumps mit den Glitzerhimbeeren darauf.
    „Weißt du noch, was er gesagt hat, als er sie dir geschenkt hat?“, fragte mich Oma Schrecklich und schnaubte vor Wut: „,Damit du weißt, wer du bist!’, hat er gesagt. Ja, das hat er wirklich gesagt, und weißt du, was ich jetzt sage?“, fragte sie mich noch wütender. „Ich sage, dass er keinen blassen Schimmer davon hat, wer du in Wirklichkeit bist. Also los! Worauf wartest du noch? Zeig es ihm endlich!“
    Doch ich rührte mich nicht. Ich war immer noch verdattert. Ich schaute bestimmt noch dreimal von Oma Schrecklich auf die rosa Pumps in ihrer Hand, bis ich begriffen hatte, was sie meinte. Dann erst erschien ein Grinsen auf meinem Gesicht, und das war das Selbstbewusstseinsgrinsen. Das beste Grinsen, was es gibt. Das kennt ihr doch sicherlich alle. Auf jeden Fall riss ich mir die Fußballschuhe von den Füßen und zog stattdessen die rosa Pumps an. Dann ging ich zum Elfmeterpunkt, legte den Ball noch einmal zurecht und nahm Maß. Leon hatte nicht den blassesten Schimmer davon, was mit ihm passierte. Da hatte Oma Schrecklich mit Sicherheit Recht. Er grinste nur blöd und dieses Grinsen war mit Sicherheit nicht mehr das Selbstbewusstseinsgrinsen. Dieses Grinsen war das Ich-weiß-nichts-doch-ich-bin-trotzdem-so-cool-Grinsen. Und mit diesem Grinsen erwartete er meinen Schuss.

    Ja, und ich wusste genau, was ich tat. Ich lief an, täuschte nach links und schoss den Ball mit dem Außenriss meiner rosa Pumps überhaupt nicht mehr rosa, sondern unhaltbar hart rechts unten ins Netz. Dann sprang ich hoch in die Luft und schrie meine Freude hinaus. Ja, ich hatte mein Geburtstagsturnier doch tatsächlich gewonnen. Ich hatte es den Wilden Kerlen gezeigt! Ich hüpfte zu Oma Schrecklich, nahm sie bei den Händen und wir drehten uns im Kreis, bis uns schwindelig wurde. Dann sprang ich meinem Vater in die Arme und küsste ihn auf den Mund. Ja, und schließlich stand ich vor Marlon, und der wich vorsorglich ein paar Schritte vor meinem Enthusiasmus zurück. „Danke“, sagte ich ihm und strahlte über das ganze Gesicht.
    Doch Marlon sah gar nicht mehr wie ein Turniersieger aus. Er wich sogar noch einen Schritt weiter zurück: „Okay. Schon gut. Dann geh ich jetzt mal“, antwortete er, und erst jetzt sah ich, dass er mein letzter Gast war. Alle anderen Wilden Kerle waren spurlos verschwunden, als hätte sie der Erdboden verschluckt.

Rache macht einsam
    Ich schaute Marlon noch nach, wie er sein Fahrrad vom Boden aufhob und aus dem Garten verschwand. Dann half ich meinem Vater und Oma Schrecklich dabei, die Reste meines Geburtstagsfests zu beseitigen. Stumm räumten wir Garten und Küche auf, und danach suchte sich jeder einen Platz, an dem er allein sein konnte. Jeder von uns musste darüber nachdenken, was gerade passiert war. Oma Schrecklich wurde von ihrem schlechten Gewissen geteert und gefedert, weil sie das Fest ruiniert hatte. Mein Vater wusste, dass er sein Versprechen einlösen müsste, und wir nach Hamburg zurückkehren würden, und ich ging auf mein Zimmer und brütete dort vor mich hin.
    „Rache ist süß“, dachte ich, „aber sie macht auch absolut einsam.“ Ja, ich hatte es Leon und den Wilden Kerlen gezeigt. Ich hatte sie besiegt und ich hatte ihnen bewiesen, dass ich genauso gut war wie sie. Doch was brachte mir das? Ich hatte sie im selben Augenblick auch verloren. Indem ich den Elfmeter mit den Pumps geschossen hatte, hatte ich den Bogen überspannt und zerbrochen. Diese Demütigung war zu groß für die Wilden Kerle gewesen und mein Traum, bei ihnen zu spielen, war für immer zerplatzt. Ja, verflixt, und morgen waren die Sommerferien auch noch zu Ende. Morgen würde ich sie alle wiedersehen. Ab morgen würde ich ein ganzes Jahr lang jeden Schultag mit ihnen in einer Klasse verbringen. Nein. Das war schlichtweg unmöglich. Das konnte ich
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