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Vampirgeflüster

Vampirgeflüster

Titel: Vampirgeflüster
Autoren: Charlaine Harris
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sich verwandelt, und er hat auf sie geschossen.« Ich hatte Sam noch nie so bedrückt gesehen.
    »Ist sie tot?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort fürchtete.
    »Nein«, sagte er. »Nein, aber sie liegt im Krankenhaus, mit zerschmettertem Schlüsselbein und einer Schusswunde an der linken Schulter. Er hätte sie beinahe umgebracht. Wenn sie nicht zum Sprung angesetzt hätte...«
    »Es tut mir so leid«, sagte Amelia.
    »Wie kann ich dir helfen?«, fragte ich.
    »Kümmere dich ums Merlotte's, solange ich weg bin«, erwiderte er und versuchte, den Schock abzuschütteln. »Ruf Terry an. Terry und Tray sollen sich einen Arbeitsplan für den Dienst am Tresen machen. Tray, du weißt, dass ich dich bezahle, wenn ich wieder zurück bin. Und der Dienstplan für die Kellnerinnen hängt an der Wand hinterm Tresen, Sookie. Und such bitte jemanden, der Arlenes Schichten übernimmt.«
    »Klar, Sam«, sagte ich. »Brauchst du Hilfe beim Packen? Soll ich deinen Pick-up auftanken oder so was?«
    »Nein, es geht schon. Aber du hast doch den Schlüssel zu meinem Wohnwagen, könntest du meine Pflanzen gießen? Ich bin wahrscheinlich nur ein paar Tage weg, aber man weiß ja nie.«
    »Natürlich, Sam. Mach dir keine Sorgen. Und halt uns auf dem Laufenden.«
    Dann verließen wir alle das Büro, damit Sam in seinen Wohnwagen gehen und packen konnte. Er stand direkt hinter dem Merlotte's, so dass Sam zumindest schnell fertig sein würde.
    Auf der Fahrt nach Hause versuchte ich mir vorzustellen, wie Sams Stiefvater so etwas nur tun konnte. Hatte ihn die Zweigestaltigkeit seiner Ehefrau so entsetzt, dass er ausgerastet war? Hatte er ihre Verwandlung nicht gesehen und sich erschreckt, als sie in ihrer Wergestalt auf ihn zugelaufen kam? Ich konnte einfach nicht glauben, dass man auf jemanden, den man liebte, mit dem man zusammenlebte, schießen würde, nur weil derjenige ein Geheimnis hatte, von dem man nichts ahnte. Vielleicht sah Don in dem anderen Selbst seiner Frau einen Betrug. Oder vielleicht lag es daran, dass sie es ihm so lange verschwiegen hatte. Ja, so betrachtet konnte ich seine Reaktion irgendwie verstehen.
    Alle Menschen hatten Geheimnisse - und ich musste es schließlich wissen, denn ich kannte die meisten davon. Es ist überhaupt nicht lustig, eine Telepathin zu sein. Ich kriege all das Ordinäre, Traurige, Abstoßende, Belanglose ... na, eben all die Dinge mit, die wir alle tunlichst vor unseren Mitmenschen verbergen, damit ihr Bild von uns nicht leidet.
    Die Geheimnisse, von denen ich am wenigsten weiß, sind meine eigenen.
    Und heute Abend musste ich an jene der ungewöhnlichen Erbanlagen denken, die mein Vater mir und meinem Bruder vermacht hatte. Mein Vater hatte nie erfahren, dass seine Mutter Adele ein riesengroßes Geheimnis gehabt hatte, und auch mir war es erst letzten Oktober eröffnet worden. Die beiden Kinder meiner Großmutter - mein Vater und seine Schwester Linda - waren gar nicht die Sprösslinge ihrer langjährigen Ehe mit meinem Großvater.
    Beide waren ihrer Affäre mit einem Geschöpf namens Fintan entsprungen, der halb Elf, halb Mensch gewesen war. Glaubte man Fintans Vater Niall, so lag es am Elfenerbe meines Vaters, dass meine Mutter mit einer so närrischen Liebe an ihm gehangen hatte, mit einer Vernarrtheit, die sogar ihre Kinder an den Rand ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Gefühle gedrängt hatte. Für meine Tante Linda schien dieses Erbe keine Folgen gehabt zu haben, auf jeden Fall hatte es sie nicht vor dem Krebstod bewahrt oder ihren Ehemann an sie gebunden, geschweige denn in sie vernarrt gemacht. Doch Tante Lindas Enkel Hunter konnte genau wie ich Gedanken lesen.
    So ganz konnte ich mich mit der Geschichte allerdings noch immer nicht abfinden. Ich war überzeugt, dass Niall mir die Wahrheit erzählt hatte. Aber ich verstand nicht, wie der Kinderwunsch meiner Großmutter so groß sein konnte, dass sie meinen Großvater betrog. Das passte einfach nicht zu ihrem Charakter, und ich verstand auch nicht, warum ich das in all den Jahren, die wir zusammengewohnt haben, nicht in ihren Gedanken gelesen hatte. Sie musste doch hin und wieder mal an die Umstände gedacht haben, unter denen sie schwanger wurde. Es war völlig unmöglich, dass sie diese Ereignisse ein für alle Mal in einem geheimen Winkel ihres Hirns verborgen hatte.
    Aber meine Großmutter war nun schon über ein Jahr tot, und ich hatte nie Gelegenheit gehabt, sie danach zu fragen. Und Niall hatte mir erzählt, dass auch mein biologischer
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