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Vamperl soll nicht alleine bleiben

Vamperl soll nicht alleine bleiben

Titel: Vamperl soll nicht alleine bleiben
Autoren: Renate Welsh
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machen
     sich noch beim vierten Mal keine Gedanken darüber, wo er eine Frau finden soll? Alles muss ich allein erledigen. Und dabei
     haben Sie mir auch noch diesen Rheumatismus angehängt. Nicht sehr rücksichtsvoll von Ihnen.«
    Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Aber der Kaffee ist gut.«
    Nachdem auch der Kuchen ihre Zustimmunggefunden hatte, lächelte sie. Dabei wurden ihre Augen viel blauer.
    »Na gut«, brummelte sie, »es ist eben, wie es ist.«
    Vamperl flog auf meinen Kopf und begann an meinen Haaren zu zupfen.
    »So kurze Haare mag er nicht«, sagte Frau Lizzi.
    Ich erklärte ihr, dass bei mir keine Frisur hält und dass ich leider ungeschickt bin im Lockenwickeln und Föhnen.
    Sie nickte. »Aber jetzt im Ernst: Wo finden wir eine Frau für ihn?«

    Vamperl zog so heftig an meinen Haaren, dass mir die Tränen in die Augen traten. »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Also hören Sie, wenn Sie es nicht wissen... Sie brauchen ihm doch nur eine zu schreiben. Ganz einfach!«
    »So einfach ist das nicht«, wehrte ich mich. »Sie sind ja auch nicht mehr bloß die, die ich geschrieben habe. Sie sind Sie
     selbst geworden...«
    Sie unterbrach mich. »Das will ich meinen.«
    »Eben«, bestätigte ich. »Sie können mir widersprechen, Sie gehen Ihre eigenen Wege. Sobald ein Buch fertig ist, hat meinereine
     keine Möglichkeit mehr einzugreifen.«
    Sie schüttelte den Kopf, sie glaubte mir einfach nicht.
    »Das ist so ähnlich wie mit Kindern«, sagte ich. »Wenn die erst einmal auf der Welt sind, hilft es auch nicht zu sagen, ich
     hätte doch lieber ein anderes gehabt. Man kann nur mehr für sie sorgenund sie lieb haben und achten, dann können sie lernen andere lieb zu haben und zu achten.« Ich verstummte. Ich merkte, dass
     ich nicht gut erklären konnte, was ich meinte.
    »Kinder können Sie auch nicht drei- oder viermal umschreiben.«
    »Stimmt.« Plötzlich hatte ich einen Einfall. »Wissen Sie, dass die Kinder Sie sehr mögen, Sie und den Vamperl?«, fragte ich.
    Sie wurde ein bisschen rot. Es stand ihr gut.
    Ich holte die Mappe mit den Kinderbriefen heraus und drückte sie ihr in die Hand. Frau Lizzi fing an zu lesen. Sie las sich
     fest.
    »Die Kinder schreiben viel schöner als Sie«, stellte sie fest. »Viel leserlicher.«
    »Ich weiß.«
    Sie winkte mir ruhig zu sein. »Hör dir das an, Vamperl! Du hast ja gar nicht gewusst, wie viele Abenteuer du schon bestanden
     hast!« Sie las ihm einige Geschichtenvor, die Kinder über ihn erfunden hatten. Manchmal lachte sie. »Schau, da verheiratet mich einer mit einem Otto, der dich
     nicht mag. Als ob ich so einen auch nur anschauen würde. Aber der Otto rettet uns dann vor einem bösen Riesen.«

    Sie las weiter. Manchmal schaute sie bekümmert drein. »Was Kinder alles erleben müssen! So viel Leid. Und dann glauben sie
     auch noch, sie wären schuld. Wie die Kleine da, die schreibt, sie braucht ein Vamperl für sich allein, dann ist sie ein Engelchen
     und alle habensie lieb. Als ob man nur Engelchen lieb haben könnte.«
    Vamperl nickte heftig. Frau Lizzi blätterte weiter.
    »Da, Vamperl – dieses Mädchen hat dir eine liebe Frau geschrieben. Wir werden uns an die Kinder halten müssen.« Sie trank
     ihren Kaffee aus, sammelte mit spitzen Fingern die Kuchenbrösel ein. »Vamperl, wir gehen.«
    Er zupfte zum Abschied noch einmal an meinen Haaren.
    »Eines möchte ich noch wissen«, sagte Frau Lizzi. »Warum haben Sie mich ausgerechnet 67   Jahre alt gemacht?«
    Ich stotterte: »Weil... mich oft alte Frauen wie Sie getröstet haben, wenn ich als Kind unglücklich war... und weil... ich
     mir wünsche, dass ich auch einmal so werde wie Sie...«
    Frau Lizzi unterbrach mich. »Papperlapapp. Das schaffen Sie nie! Nicht, dass ich etwa eingebildet wäre. Sie sind nur ganz
     anders, finden Sie sich damit ab.«
    Plötzlich streckte sie mir die Hand entgegen und strahlte mich an. »Machen Sie kein so trauriges Gesicht. Ich bin ja froh,
     dass ich auf der Welt bin, es gefällt mir gar nicht schlecht hier, trotz allem. Ich hätte nur gedacht, eine Schriftstellerin
     müsste sich auch weiter um einen kümmern. Jetzt sehe ich, dass ich das selbst besser kann, weil ich viel praktischer bin als
     Sie. Nehmen Sie mir’s nicht übel.« Sie tätschelte meine Hand. Vamperl gab mir noch einen spitzen feuchten Kuss auf die Wange.
     Die Stelle fühlte sich lange warm an.
    Ich wollte sie nach Hause fahren, doch Frau Lizzi lehnte ab. Nur bis zum Tor sollte ich sie begleiten, sie
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