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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt
Autoren: Freda Warrington
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Band eines Flusses schlängelte sich zwischen sanften Ufern dahin, bis es zu ihrer Linken vor einem Cottage verschwand, das halb verborgen hinter Blattwerk lag. Sie war in Ginnys Tal.
    Nach ein paar unsicheren Schritten stürmte eine Vision der vergangenen Nacht auf sie ein, wie hinter einem Schleier, aber dennoch von qualvoller Lebendigkeit wie ein Albtraum. Ihr Estalyr-Selbst bewegte sich in Kreisen hinab zu der Steinplatte, auf der Sam lag. Er war das wächserne Bild des Todes, doch sie griff in ihn hinein und zog sein Estalyr-Selbst aus ihm heraus und sie schwebten Auge in Auge dahin, und er sah so wunderschön aus, mit seinen Augen aus flüssigem Gold, seiner tintigen Haut, dem weißblond leuchtenden Haar. Sie hatte ihre eigene Hand, in transparentem Ultramarin, die Fingernägel golden, auf seiner Haut gesehen. Mein Gott, sie erinnerte sich sogar, dass sie, als sein Kopf sich ihr entgegenreckte, um sie zu küssen, ihn neckisch hingehalten und ihm nur einen kleinen Vorgeschmack gewährt hatte, bevor sie nachgab und ihm ihren Mund hingab …
    So real, dass sie noch immer die Saftigkeit dieses Kusses spürte. Rosie stöhnte laut. Eine grausame Halluzination – was sonst sollte es sein? Es sei denn, sie selbst war auch tot?
    »Rosie?« Die Stimme schreckte sie aus ihrer Trance auf. Vor ihr stand Virginia Wilder. Schock und Freude, sie zu sehen, waren gleichermaßen heftig, dass es Rosie die Sprache verschlug und sie glaubte, vor Erschöpfung und Verwirrung all ihrer Sinne in Ohnmacht zu fallen. »Du meine Güte, was ist dir denn widerfahren? Du hast am Großen Tanz teilgenommen, sagte sie. Das kann eine äußerst berauschende, aber auch schreckliche Erfahrung sein …«
    »Ja«, keuchte Rosie. »Wer hat dir das erzählt?«
    »Komm mit.« Ginny berührte sie am Ellbogen, aber Rosie war wie festgewurzelt. »Ich habe dir so viel zu erzählen, meine Liebe. Jon und Lucas sind hier. Und Lawrence.«
    »Lawrence?«
    Wie eine Eisstatue blieb sie stehen, weil ihr der viel zu sanfte Ton, in dem Ginny ihr alles erklärte, schon verriet, dass auf ihre leise Frage: »Und Sam?« – die sie stellen musste, obwohl sie wusste, dass die Antwort eine einzige Qual wäre –, Ginnys Gesicht erbleichen und Tränen aus ihren Augen quellen würden.
    Und das taten sie auch. Ginny packte Rosie an den Armen und sagte flüsternd: »Ich weiß, das ist nicht fair. Aber die Kraft und das Wissen deines Estalyr-Selbst, die werden dich nie verlassen …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern starrte über Rosies Schulter. Ihr Blick wurde glasig und ihr Gesicht starr, bis auf die Lippen, die sich langsam öffneten.
    »Hey, Süße«, sagte eine Stimme hinter Rosie.
    Sie wandte sich um und sah Sam. Sein Haar war zerzaust, er trug dieselben Kleider, in denen sie ihn zuletzt gesehen hatte, und sein erschöpfter und verwirrter Eindruck spiegelte ihre Seelenverfassung. Sie wollte schon nach ihm greifen, doch ihre Hand zögerte. Aus Angst, er könne wieder verschwinden, traute sie sich nicht, den Geist anzufassen. Sie brachte kein Wort über die Lippen.
    »Verdammt, was ist denn mit dir passiert?«, staunte er. »Du warst da und dann … bist du okay, Rosie?«
    »O mein Gott, ich dachte, du seist tot«, keuchte sie mit brechender Stimme.
    »Sehe ich so schlimm aus?« Er streckte seine Hand aus und berührte ihr Gesicht. Die Berührung war echt. »Aber ich … ich hab dich doch erst letzte Nacht gesehen, oder? Wir haben die Gestalt gewechselt, wir flogen … Warte, war das ein Traum?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Alles ist verschwommen. Was ist geschehen? Wir waren doch gemeinsam oben am Nachthimmel … dann weiß ich erst wieder, dass ich einen Abhang hinunterstolperte, als wäre ich gerade erst aus einem Vollrausch erwacht …« Er schob sich die Hände durchs Haar und verwuschelte sie damit noch mehr. »Verdammt! Das Ende des Unwetters – mit Brawth und meinem Vater –, das war doch erst gestern, oder?«
    »Das war vor zwei Monaten, Sam!«, rief sie.
    Er wurde blass. »O mein Gott – hier spielt die Zeit verrückt – meine Güte, Rosie, ich hatte keine Ahnung –«
    Sie packten einander und plötzlich tat nichts mehr weh, weil er real und körperlich in ihren Armen lag und sie so fest umklammert hielt, dass seine Kraft allen Schmerz aus ihr herauspresste. Sie wollte schreien, aber an seiner Schulter erstickte ihr Aufschrei. »Du warst tot!« Endlich brach der Tränenstrom aus ihr heraus und Sam hielt sie fest und ließ sich davon
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