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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt
Autoren: Freda Warrington
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klitzekleinen Neigung seines Haupts, und in dieser Bewegung lag alle Drohung der Welt. Die Schlangenzunge glitt über Rosies Mund. »Sagte er dir, dass ich das tat?«
    »Er sagte, du zeigtest ihm ein Täfelchen aus Elfenstein und behauptetest, du hättest darin sein Herz, seine Seele und seinen Wesenskern gefangen und würdest es in Geiselhaft halten, sofern er nicht zurückkäme.«
    Albin lächelte. »Und das hast du ihm abgenommen?«
    »Wir hatten Beweise dafür. Wir hatten den Edelstein. Als wir ihm diesen zurückgaben, wurde er wieder zu seinem wahren Selbst.«
    »Was du beschreibst, habe ich getan. Es stimmt.«
    »Wie konntest du so grausam sein, die Essenz deines eigenen Sohnes zu stehlen?«
    »Aber das habe ich nicht«, antwortete Albin geduldig. »Ich habe seine Seele doch nicht in einem Stück Mineral eingefangen. Wie könnte ich auch? Etwas Derartiges ist unmöglich.«
    »Du sagtest ihm, du hättest es getan, und er glaubte dir.«
    »Genau so. Das, was er glaubte, richtete den Schaden an.«
    »Aber der Effekt war doch derselbe! Du hast ihm eine grausame Lüge aufgetischt und er hat dir vertraut.«
    »Diesen Pfad hat er selbst gewählt«, erwiderte Albin ungerührt.
    »Du hast ihn für seinen Ungehorsam bestraft!«
    »Haben Väter das nicht immer bei ihren Söhnen getan?« Sein Kopf verschob sich minimal und nun las sie die Kälte in seinen Augen als Verzweiflung.
    »Du warst eifersüchtig auf ihn.«
    »Nicht so. Seine Mutter, meine geliebte Maia, verschwand schon vor langer Zeit in die Spirale. Ich brauchte Lawrence, damit er mir half, sie zu finden, aber er kehrte uns den Rücken, verlangte stattdessen gierig nach den Reichtümern der Erde. Ich wollte ihn nur daran erinnern, dass sein Herz hierhergehört. Das Symbol, das ich dafür wählte, war unbedeutend.«
    »Nein, es zerstörte ihn. Ich hoffe, dass du am Ende das Gefühl hattest, er sei genug bestraft worden.«
    »Sei nicht so vorschnell mit deinen Urteilen.« Die Schlange richtete sich auf und rieb ihre trockene Wange an ihrer. »Ich wurde das Spiel leid. Ich war derjenige, der Estel bat, dir das Ei zu bringen. Mit deinen von der Erde abgetöteten Instinkten hast du lange genug gebraucht, hinter seinen Zweck zu kommen. Geh nicht zurück, du Kind Vaeths. Dann wirst du zwar deine Lieben nicht mehr wiedersehen, aber es wird dir auch nichts ausmachen. Zuneigung ist ein Fluch, wenn wir zu lange leben und die Ewigkeit wie sich voneinander entfernende Galaxien verbringen.«
    Ein Wasserfall merkwürdigster Gefühle prasselte auf sie herab. Eine seltsame Kälte zerrte an ihrem Herzen, wie ein ferner Ruf oder etwas Dringendes, dessen Erledigung sie vergessen hatte. Der Drang, zu fliegen, war unwiderstehlich. Die Zeit machte einen Sprung und sie flog wieder in der Luft, Albin war eine kleine blasse Gestalt, die aus den Schatten zu ihr hochschaute. »Lawrence verschloss die Tore, um Vaeth vor schrecklicher Gefahr zu beschützen.« Seine Stimme wurde immer schwächer, als der Wind sie mit sich forttrug. »Bist du dir sicher, dass die wahre Gefahr sich schon gezeigt hat?«
    »Ich bin mir sehr sicher, dass du ein Schwindler bist«, rief sie zurück. »Frag Maia, ob sie nicht einen Grund hatte, dich zu verlassen, und gar nicht gefunden werden möchte.«
    Ihr Estalyr-Selbst flog weiter, wurde von hohen Winden hinaufgetragen. Unter sich sah sie steile Berge und mit Juwelen besetzte Dächer, sah einen Tempel mit geschwungenen Kammern aus Muschelschalen, sah den stillen ewigen Wald, den heiligen Hain mit den Bäumen, die wie Säulen den Spiegelteich umstanden. Dort am Ufer lag eine Gestalt …
    Sie faltete ihre Schwingen und setzte zum Sturzflug an, sah ihr eigenes Spiegelbild, das ihr im Wasser entgegenkam: einen großen Engel und Dämon, aus dem Nachthimmel voll wirbelnder Galaxien herausgeschnitten. Sie starrte in ihre eigenen fremdartigen Augen aus flüssigem Gold.
    »Nein«, rief eine Stimme.
    Und im letzten Moment scherte sie seitlich aus und landete wie ein kaputter Flugdrachen in einem Haufen seidiger Flügel am Ufer. Das kleine, milchweiße Gesicht, das auf sie herabsah, war das von Estel, dem Rickenmädchen, der Sternendame. Das Kristallherz hing noch immer um ihren Hals. »Nein, du darfst das Wasser noch nicht küssen«, sagte Estel liebevoll. »Für dich ist die Zeit noch nicht gekommen.«
    »Sam«, sagte ihr Estalyr-Selbst, das sich plötzlich erinnerte, warum sie hier war. »Hast du ihn gesehen?«
    »Nein, süße Schwester, er ist nicht hierhergekommen«,
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