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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena
Autoren: Haley Tanner
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mitgenommen haben, habe ich gewusst, sie wird endlich glücklich sein. Sie kommt in eine saubere Wohnung. Sie muss nicht mehr mich und mein Leben mit ansehen, sie sieht nicht mehr diese Typen und ihre Lebensweise. Das hab ich immer für sie gewollt. Und ich bin froh, dass es so passiert ist, verstehst du?
    Und dieser Typ kommt ins Gefängnis, und ich bin ihn los. Ich mache jetzt meine Ausbildung zur Krankenschwester. Ich strippe nur noch, um die Gebühren zu zahlen, denn das ist der einzige Weg. Und das wird meine Freiheit sein, wenn ich registrierte Krankenschwester bin, Gehalt kriege und Zuschüsse und sonst was. Ich habe nur noch ein Jahr vor mir. Jahresgehalt für eine Krankenschwester ist neunzigtausend Dollar. Das ist in Ordnung. Ich werde Lena sehen, wenn ich gut für sie bin. Wenn sie erwachsen ist und in Sicherheit. Das ist alles. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe, du kennst jetzt die ganze Geschichte.«
    Vaclav weiß nicht, was er sagen soll.
    »Du möchtest Lena gleich alles erzählen, ich hab nur eine Bitte, und dann machst du, was du willst, das weiß ich, du bist ein Junge, und mit deinen Ideen wirst du genau das tun, was du für richtig hältst.« Sie macht eine Pause und raucht.
    »Die Sache ist, Lena weiß nichts von dem hier. Sie ist vor all dem Schrecklichen bewahrt worden. Ich hab sie davor bewahrt. Ich hab sie weggeschickt. Und jetzt willst du ihr alles erzählen. Ich glaube, das ist zu viel für sie. Sie ist noch weich und keine glückliche, ganz richtige Erwachsene. Keine Ahnung. Ich hab sie nicht gesehen. Und du kennst sie am besten. Vielleicht ist es ja auch nicht zu viel.«
    Vaclav forscht in ihrem Gesicht und sieht, dass sie ihn manipulieren |331| will und möchte, dass er etwas Bestimmtes macht oder unterlässt, wird es aber nicht sagen.
    »Ich denk nur, du sitzt hier und nicht sie, und das ist ein Zeichen, dass es zu viel für sie ist. Und jetzt verlass meine Wohnung, mehr hab ich dir nicht zu erzählen.«
    Sie wendet ihm den Rücken zu, geht zur Küche und lässt Wasser laufen. Dann dreht sie sich um, schaut Vaclav an und versucht, milder zu klingen.
    »Ich bin sehr müde. Auf Wiedersehen.«
    Brooklyn ist nur ein Stadtteil
    Vaclav geht zu Lenas Haus. Es ist weit bis dahin; ganz Brooklyn liegt zwischen ihnen. Aber Brooklyn ist nur ein Stadtteil, kein Land. Lenas Haus ist etwa neuneinhalb Kilometer entfernt, und Vaclav kann jeden Schritt gehen. Vaclav muss jetzt einen Fuß vor den anderen setzen und den Bürgersteig hinter sich bringen, er muss sich fortbewegen und das Gefühl haben, jemand zu sein, der sich durch die Welt bewegt. Zuerst geht er die Ocean Parkway hinunter und dann durch ganz Midwood, durch die Schar chassidischer Mädchen in marineblauen Röcken und Mütter mit schicklicher Kopfbedeckung und Kindersportwagen. Er geht durch Ditmas Park, wo auf der einen Straßenseite große viktorianische Villen mit ihren stolzen Veranden und ihrem gepflegten Rasen stehen und auf der anderen Seite die |332| Bodegas mit ihren achtmal lackierten Schildern. Er geht durch den Prospect Park, wo die Bäume farbig explodieren und darunter die Jogger, Hundespaziergänger und Handytelefonierer, die die Farbenpracht nicht zu bemerken scheinen.
    Vaclav geht immer weiter.
    Als er Lenas Haus erreicht, weiß er, was er tun muss.
    Lenas Viertel ist auf eine Weise schön, wie es Vaclavs niemals sein kann. Es besteht aus großen, hohen Reihenhäusern mit imposanten Fenstern, die wie alte, weise Augen aussehen. Die Gebäude sehen zuverlässig und schön aus und nicht reingequetscht und klein wie zu eng stehende schiefe Zähne, so wie die Häuser in Vaclavs Viertel. Es gibt hier schöne Bäume, die sich über die Straße wölben und einen kleinen Baldachin bilden und von den Straßenlaternen schön beleuchtet werden. Vaclavs Füße treten nicht auf den nackten Bürgersteig, sondern auf einen schönen Laubteppich.
    Lenas Haus hat etwas ungezwungen Amerikanisches, was sein Haus niemals erreichen könnte. Sein Haus hat immer den falschen Geruch, die falsche Türmatte, steht falsch da.
    Die Türklingel hat einen wundervollen Klang, ein sattes Läuten wie bei einer richtigen Glocke, zwei lange, langsame, gewaltige Töne, ding dong, ding dong. Jemand lacht und ruft dann: »Ich geeeeh!« Lachen auf dem Weg zur Tür.
    Eine Frau öffnet mit Mühe die schwere Tür. Aus dem Innern kommt ein warmes Licht, als hätte Lenas Mama irgendwie gelernt, Glühbirnen aus Klementinen zu zaubern.
    Lenas Mama ist klein,
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