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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena
Autoren: Haley Tanner
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er trank und saß mit anderen Männern rum. Er war kein schlechter Mensch. Das Leben war eben so. Wie die Depression in deinem Land. Es macht Männer zu einem Nichts, zu fiesen Kerlen oder Kriminellen oder Memmen. Wie bei unserm Vater. Er war ein Nichts.
    Überall war Kriminalität. Es war schon gefährlich, aus dem Haus zu gehen oder in die Schule zu gehen. Lenas Mutter, sie hieß auch Lena, in Russland kürzen wir aber nie ab, also Yelena. Yelena war älter als ich, zehn Jahre. Zwischen uns war noch ein totes Baby, ein Junge. Er war eine Frühgeburt. Meine Mutter hat immer seinen Namen gerufen und ihre eigenen Töchter zum Tausch angeboten, um ihn zurückzukriegen. Ein blutiger Klumpen, der nie gesprochen hat oder geschrien oder gekackt hat, und doch hätte sie uns in Zahlung gegeben für ein Kind mit Pimmel. Sie hat oft gesagt, ›Gott, ich würde dir mit Freuden die |322| beiden kleinen Mädchen geben, wenn ich dafür nur meinen Aleck zurückhaben könnte‹.
    Yelena, der ging’s nich gut. Da gab es Mädchen, die hatten Sachen, Kleidung und Essen. Und Orte zum Amüsieren, wo sie hin konnten und jeder sich freute, sie zu sehen. Aber bei uns zu Hause ging’s zu, wie ich es dir gerade gesagt habe. Dazu mich. Ich war zu Hause, und immer, wenn Yelena da war, musste sie auf mich achtgeben. Meine Mutter besoff sich und schlief dann wie ’ne Tote. Yelena hat alles gemacht, um mich glücklich zu machen, hat Puppen genäht, mit mir herumgetobt und Spaß gemacht, aber sie war traurig. Ich war nur ’n kleines Mädchen, aber ich wusste das. Man weiß das von der eigenen Schwester.« Trina holt tief Luft.
    »Also ging sie zu den Mädchen.« Die Tante sagt das, als wäre das ihr letztes Wort zu dem Thema. Vaclav wartet ab, doch sie raucht bloß und betrachtet ihre Fingernägel.
    »Tut mir leid, ich weiß nicht, was das bedeutet«, sagt Vaclav.
    »Sie ging nicht mehr zur Schule, sie ging auf die Straße mit den Mädchen, um ihre Pussy für Geld zu verkaufen und um dafür schöne Dinge zu bekommen. Muss ich dir das wirklich extra erklären?«, fragt die Tante barsch. Es ist nicht leicht zu sagen, dass die eigene Schwester auf den Strich ging, mahnt Vaclav sich.
    »Das klingt, als hätte sie keine Wahl gehabt«, sagt Vaclav, um das Ganze abzuschwächen. Auch das passt Trina nicht, sie macht ein Gesicht, als wäre irgendwo im Zimmer ein Scheißhaufen.
    »Man kann immer was anderes machen«, faucht sie.
    »Wann ist sie an Drogen geraten?«
    |323| »Beim Pussyverkaufen, Drogen, das ergibt sich von selbst in dem Metier, okay?« Sie sagt das, als müsse Vaclav mit der Situation vertraut sein. Vaclav hat nie zuvor in seiner Gegenwart das Wort Pussy von einer Frau gehört. Nie. Die Tante spricht es wie Puusih aus.
    »Mädchen brauchen Drogen, damit sie nicht aufhören, sich zu verkaufen, und dann verkaufen sie sich plötzlich nur noch, damit sie an Drogen kommen.«
    Vaclav kommt ein furchtbarer Gedanke.
    »War Lenas Vater einer der Männer? Der sie bezahlt hat für   …«
    »Für die Pussy? Wahrscheinlich hat er ihr Drogen gegeben, kein Geld. Er war Drogenhändler, Mitglied einer Gangsterbande. Vielleicht hat er ihr auch nichts gegeben. Vielleicht hat er bloß genommen.«
    »Sie waren also nicht zusammen. Keine Dates? Gar nichts?«
    »Nein.«
    »Okay. Haben Sie ihn gekannt?«
    »Nein. Nur vom Prozess her, und als sie festgenommen wurden.«
    »Sie sind zusammen festgenommen worden?«
    »Der Drogenring ist aufgeflogen. Er war dabei, sie war dabei. Es hatte einen Mord gegeben. Ein reiches Mädchen, die Tochter von ’nem wichtigen Mann. Sie wurden beide verhaftet wegen Mord.«
    »Haben sie das Mädchen gemeinschaftlich getötet?«
    »Jemand hat’s getan. Wer weiß. Vielleicht waren sie es. Yelena hat gesagt, sie hatte nichts damit zu tun. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Beim Prozess hat sie die ganze Zeit geweint, aber |324| kein Wort gesagt. Die Polizei, die hat gesagt, dass die zwei das Mädchen für Geld getötet haben. Raubüberfall.«
    Vaclav ist verwirrt. Die Tante wird ihm anscheinend keine ehrliche Antwort geben, ob Lenas Mutter das Mädchen getötet hat, ob sie unschuldig oder schuldig war, und ihm kommt das so wichtig vor, so ungeheuerlich. Jede Einzelheit scheint mit derjenigen zusammenzuhängen, die am Ende allem einen Sinn gibt, den Fall abschließt und der Logik entspricht.
    »Moment!   … Sie war unschuldig? Und ist hingerichtet worden?« Vaclavs Blick ist wirr vor Angst, dass so etwas irgendwo in der Welt
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