Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena
Autoren: Haley Tanner
Vom Netzwerk:
unten.
    Vaclav weiß nicht mehr, was er denken soll, aber er hat das Gefühl, wenn er die Teile des Puzzles, Lenas Puzzle und das seiner Mutter, zusammensetzt, wird es besser. Doch eigentlich glaubt er nicht wirklich daran, dass es besser wird. Er glaubt nur, dass sich etwas ändern wird, und das würde schon guttun, denn die augenblickliche Situation kann er nicht ertragen.
    Wenn sich die Wahrheit findet, wird das die abwegige Suche verhindern und Lenas Drang, nach Russland zu gehen, dämpfen. Russland, das zu einem Wort geworden ist wie   … etwas Anstößiges. Etwas Dummes und Anstößiges.
    So früh am Morgen herumzulaufen tut ihm gut, und mit Lenas Tante zu sprechen, wird auch guttun.
    Er spürt, dass er eine Wunde bei Lena heilt, er schließt eine |316| Tür. Es kommt ihm nicht wie eine unerhörte Einmischung oder eine ungewöhnliche Übertretung vor. Lena wollte etwas, und er will, dass sie es bekommt. Er bedenkt nicht, dass er bei der Frage, was Lena wirklich gewollt hat, ein wenig oder auch völlig falsch liegen könnte.
    Vielleicht ahnt er auch, dass Lena mit ihm sprechen wird, wenn er diesen Besuch macht, ganz bestimmt, komme, was da wolle. Vaclav rennt die Treppen zum Eingang der Tante hinauf und klopft laut gegen die Wohnungstür.
    Eine Zeit lang kommt keinerlei Reaktion. Vaclav schaut auf die Uhr und klopft wieder. Er beschließt, zwei Minuten zu warten und dann noch einmal zu klopfen. Nach dem dritten Klopfen bewegt sich die Jalousie am Fenster. Die Tür öffnet sich einen Spalt, und die Tante schiebt sich in den Spalt, sie schleicht sich hinein wie eine Katze. Sie blickt direkt in Vaclavs Augen, sie schaut ihn nicht nur an, sondern blickt ihm tief und zu intensiv in die Augen. Sie schaut ihn auf eine Weise an, die ihm mitteilt, dass sie sofort zu Sex bereit ist. Anders kann er diesen Blick nicht beschreiben.
    Sie sagt nicht »hallo«, sie schaut ihn nur mit diesem Blick an. Er ist verblüfft. Er würde gern etwas sagen, weglaufen. Er braucht einen Augenblick, um sich zu sammeln.
    »Kann ich mit Ihnen reden?«, fragt er.
    »Rede.«
    »Ich kenne Sie. Ich kenne Lena.« Eine sehr lange Pause. Eine Pause, als hielte Superman die Welt an.
    »Komm rein«, sagt sie und dreht sich um.
    |317| Trinas Geschichte
    Vaclav folgt ihr in die Wohnung. Hier war er noch nie, auch als Kind nicht. Es ist dunkel und riecht abgestanden. Überall ist ein großes Durcheinander, überall stehen und liegen schmutzige Teller und Take-away-Boxen und leere Zigarettenschachteln herum.
    »Tut mir leid, habe ich Sie geweckt? Ich weiß, es ist noch sehr früh.« Vaclav steht in der Tür, und Lenas Tante hantiert in der Küche. Sie setzt Tee auf. Er weiß nicht, was er sonst sagen soll.
    »Mich geweckt? Nein, ich gehe noch nicht schlafen.«
    Sie trägt viel Make-up, starkes Abend-Make-up, aber es sieht verbraucht aus, so als habe sie damit geschlafen. Auch ihre Frisur ist lädiert. Sie trägt eine Trainingshose mit von Bleichmittel gelbgeränderten Flecken und ein enges schwarzes Top mit Netzeinsatz, das den unteren Rücken, einen Streifen Haut oberhalb ihres Bauchnabels und den Ausschnitt freilässt. Ihr Körpergeruch nach ranziger Milch und Zigaretten ist widerlich.
    »Willst du Tee?«
    »Ja, Ma’am«, sagt er.
    »Scheiß auf das Ma’am. Nenn mich Trina«, sagt sie aus der Küche. »Setz dich.« Sie klingt verärgert.
    Vaclav setzt sich auf die Couch; er fühlt sich dem hier nicht gewachsen. Er weiß nicht, wohin mit den Händen   …
    Sie bringt ihm Tee und setzt sich ans andere Couchende. Sie verschränkt die Beine unter sich auf Lenas komplizierte Weise. Vaclavs Teetasse ist schmutzig, aber sie schaut ihn an, und er trinkt. Er kann den Teebeutel nirgends ablegen. Sie nimmt sich |318| eine Zigarette, steckt sie an, und Vaclav wird sich nur zu sehr bewusst, dass es keine offenen Fenster gibt und keinen Ventilator. Er möchte eine ihrer Zigaretten rauchen, sich bedienen, ohne zu fragen, ihr zeigen, dass er ein Mann und kein Kind mehr ist und dass er keine Angst vor ihr hat. Er beäugt die Zigarettenpackung. Doch er rührt sich nicht.
    Sie lässt ihren Teebeutel zu anderen im Aschenbecher fallen.
    »Was soll das alles?«, fragt sie rauchend und schaut ihn wütend an. Sie ist wie eine Katze, die ihn nicht aus den Augen lässt.
    »Ich möchte etwas über Lena erfahren.« Sie sieht ihn lange an. Sehr lange. Sie ist wie ein Computer mit einem vollen Speicher, der Informationen hochlädt und Dateien sortiert. Sie weiß alles, was ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher