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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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weitersprechen wollen, aber die zurückgehaltene Erregung und die Begeisterung für Joll ließ sich nicht mehr eindämmen. Die Massen umdrängten ihn, starke Arme hoben ihn em por. Nicht nur die Versammelten riefen ihm zu, von den zahlreichen Lautsprechern übermittelte jeder das Beifallstosen einer Fernsiedlung. Neben Joll erschien auch Tirwa auf den Schultern. Der junge Genosse Ingenieur, der den Vernichtungsstrahler gegen Morgon konstruiert hatte, flog ehrenhalber durch die Luft. Und ich, wie ich da stand, mitschrie und im Überschwang Jana heftig an mich preßte, fühlte mich unversehens von zwei mächtigen Fäusten ausgehoben und zappelte mit allen Vieren in der Luft wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist. Der mich da auf- und niederstemmte, als wäre ich eine leichte Hantel, der war Hein. »Europa-Korl … Europa-Korl!« brüllte er, andere, die mich erkannten, sprangen herzu und taten ihr Bestes, mich kräftig zu wippen, sogar Jana half mit.
    Ihren Höhepunkt erreichte diese spontane Kundgebung, als die Jugend in doppeltem Zug singend aufmarschierte und hinter Joll ein Fahnenspalier bildete.
    Als schließlich wieder Ruhe eingetreten war, trat noch einmal Noris vor das Mikrophon. Massenzuruf begrüßte ihn jetzt kurz und herzlich. Er brachte seinen Wahlvorschlag ein und verlas die Namen von zehn Genossen, die dem Kreis um Joll angehörten. Er erbat Gegenvorschläge. Die Nachrichten-Zentrale meldete nach wenig Minuten, daß überall Einverständnis herrschte. Die Liste galt somit als gewählt. Joll dankte im Namen des neuen Rats.
    »Das Kommissariat für die Weltagitation, das wir neu organisieren müssen«, fügte er hinzu, »ist im Ausschuß noch nicht berücksichtigt. Wir brauchen dafür einen Genossen mit eiserner revolutionärer Entschlossenheit. Ich bitte euch, wählt dafür – Noris!«
    Ihr denkt vielleicht, das war eine schöne Abschlußgeste von Joll, so wie bei uns der und jener in Amt und Würden fällt, weil er sich zur Reklamefigur für das edle Herz seiner Gönner eignet. Solche Theaterwirkungen waren den Utopiern fremd, sie kannten in ernsten Dingen keine Liebenswürdigkeiten, die dem Bedürfnis nach einem glücklichen Ausgang aus einer verwickelten Lage entsprechen. Sie verstanden, daß die Ereignisse Noris hartgeschmiedet hatten, daß er Übermenschliches leisten würde, um das höchste Vertrauen der Genossenschaft zu verdienen, deshalb stimmten sie freudig zu, und deshalb war Tirwa jetzt der erste, der seinen Arm brüderlich um Noris’ Schultern legte und ihn an den Ratstisch führte.
    Joll schloß die Versammlung. Wir erhoben uns und fielen in die Internationale ein, die die Sirenenorgel des Turmes angestimmt hatte.
     
    Die Dämmerung wurde von der Nacht aufgesogen.
    Wir hatten uns auf einer der mittleren Terrassen des Turms eingefunden. Tief unter uns, auf den Dächern der Hausburgen, sammelten sich im Schein der elektrischen Sonnen die Genossen. Die Jugend verließ ihr Zeltlager und kam zu uns herauf.
    Unsere Augen hingen an den finsteren Umrissen der Privatstadt, die lichtlos, schwarz wie ein gefesselter Dämon, vor uns lag.
    Da strahlte über unseren Häupten von der Zinne des Turms die rote Lichtsäule auf. Das war das Zeichen. Bündel von grell-blauen Blitzen zerrissen die Dunkelheit. Der rote Turm schleuderte sie gegen die Stadt des Goldes. Aus Häusern und Palästen schlugen Flammen. Der Dom, der zugleich Börse gewesen war, stürzte zuerst unter betäubendem Krachen ein. Der geronnene Metallsee, der einst Morgons Machtträume in funkelnden Wanden bewacht hatte, begann wieder zu rauchen und Schlacken auszukochen. Bald verschlang das Feu ermeer die einzelnen Gebilde. Ungeheure Qualmwolken, durchflackert und durchflammt, wälzten sich übereinander her und verdunkelten die Sterne.
    Heins Fäuste umkrampften das Geländer, sein Gesicht war starr geradeaus gerichtet und finster, wie das gräßliche Schauspiel vor uns. Ich stieß ihn an: »Was ist, Hein?«
    Ohne mich anzublicken, knirschte er in verbissenem Haß: »Was ich denk1?,.. Wir verbrennen ihre Häuser … aber die dort wollten unsere Herzen und unsere Gehir ne verbrennen. Das denk’ ich, Karl …«
    Jana, die sich eng an mich geschmiegt hatte, schlang ihren linken Arm um Heins Nacken und zog ihn zu sich herab. »Die Freiheit«, sagte sie leise, »will harte Kämpfer, die das weiche Herz mit unerbittlicher Vernunft panzern … aber grausame Gedanken zerstören ihr Werk, grausam sind nur Herren und – Knechte, nicht
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