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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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Stadium ihrer Realisation und Erprobung; Raumfilm und drahtlose elektrische Kraftübertragung mit der Möglichkeit ungeheurer zerstörerischer Potenz sind aus der fernen Zukunftsvision in die nahe und nächste Projektion getreten. Auch in der realgeschichtlichen Perspektive geht Illing nicht ins vage Irgendwo, sondern bleibt in der Greifnähe seiner Gegenwart: das ferne Utopolis liegt zeitlich parallel zur politischen und gesellschaftlichen Realität Europas in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und vor der faschistischen Machtergreifung von 1933; im Zusammenhang der Erzählhandlung erlaubt Utopolis die Freisetzung einer sozialen Utopie, von der her sich die politische und gesellschaftliche Szene Deutschlands um 1930 kritisch und satirisch beleuchten läßt. Illing erreicht dieses Ziel aber auch dadurch, daß er – umgekehrt – den utopischen Ort selbst als eine Spiegelung von Verhältnissen begreift, die in seiner Gegenwart als Autor und in der seiner Leser spielen. Hinter »Ludo Stinkes«, dem reichsten Bankier von Utopia, dem durch Streiks und andere Konteraktionen der freien Arbeitergenossenschaft der Spaß am Handwerk derart verdorben wird, daß er – in der Hoffnung, dort Dümmere zu finden – nach Europa entflieht, verbirgt sich, kaum kaschiert, der Konzernherr Hugo Stinnes, der neben Krupp entscheidenden Einfluß schon auf die imperialistische Reichspolitik vor dem Ersten Weltkrieg gehabt hatte. Und die Marionette eines Kaisers von Utopia, die ganz als ein Spielball der Kapitalisten gekennzeichnet wird, ist bezeichnenderweise nicht nur durch die Schnurrbart-Assoziation, sondern realiter durch Zitate Kaiser Wilhelms II. charakterisiert: »Wir von Gottes Gnaden, Kaiser von Utopien … führen euch herrlichen Zeiten entgegen … Wer wider uns ist (die Linke zwirbelt an der Bartbinde. Kühn blitzt das Auge des Kaisers) … den zerschmettern wir!«
    Die Auseinandersetzungen um die richtige Strategie des befreiten Proletariats den verbliebenen und wieder zur Macht drängenden Kapitalisten gegenüber, die zwischen Joll und Noris geführt wird, ist vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussionen in der Sozialdemokratie und zwischen der SPD und KPD zu sehen. Selbstverständlich ist nicht jedes Handlungsmoment des Romans in dieser Weise auf die Zeitsituation rückbeziehbar. Der utopische Entwurf behauptet sich weitgehend in seiner erzählerischen Eigendyna mik: sie führt partiell zurück zur »Flucht aus dem Alltag« und arbeitet der »sozialreformistischen Mißdeutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Endphase der Weimarer Republik« in die Hand, die der DDR-Literaturwissenschaftler Alfred Klein in seiner Arbeit über die deutschen Arbeiterschriftsteller zwischen 1918 und 1933 an Mings Roman herausgestrichen hat. – Dem kritischen Leser heute, der freilich aus der Kenntnis der Realgeschichte nach 1930 argumentiert, fällt auf, daß die drohende Gefahr des Nationalsozialismus nur schwach angedeutet ist Jedenfalls kommt ihr innerhalb der ausgeführten Romanhandlung nicht das Gewicht zu, das ihr im Rückblick beizumessen ist. Diese Blindheit wird jedoch dadurch kompensiert, daß die aggressiven kapitalistischen Kräfte als Gegner des Proletariats zentral herausgestellt sind und daß so die kapitalistischen Strukturen sichtbar gemacht werden, aus denen der deutsche Faschismus der Hitler-Ara hervorgegangen ist. In der Abwehr dieser Kräfte gewinnt das Buch seinen agitatorischen Gehalt, der am deutlichsten in den Schlußpartien – in der großen Rede Jolls – zu fassen ist. Joll stellt sich auf den Boden einer deutschen Revolution und verurteilt von ihr aus die parlamentarische Bindung der revolutionären Bewegung an die Reaktion; am konkreten Hinweis auf die deutsche Revolution von 1918/19 hindert ihn nur, daß er als Held in einem utopischen Roman agiert: »Die Waffen der Revolution, mit denen unsere Väter und Mütter den Sieg erfochten haben, wurden in unseren Händen zu papiernen Verträgen, mit denen wir uns banden, während die Krämer im Schutze der Verfas sung ihr Verbrechen vorbereiten konnten.« Die aktuel le, gegen die Zersplitterung der proletarischen Macht ge richtete Forderung lautet: »Es – lebe – die – rote – Internationale!«
    Die aufgezeigten Implikationen, der Versuch, das Science-Fiction-Genre ins Politische und Agitatorische umzubiegen und für Arbeiter-Leser aufzubereiten, machen Illings ›Utopolis‹ zu einem interessanten literari schen Dokument im Bereich der
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