Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
Vom Netzwerk:
legte ihren Arm mütterlich um meine Schultern und schaute mich aus freundlichen Augen begütigend an. »Ruhig sein, Karl. Es geht ihr gut, aber sie ist noch müde. Wir haben sie mit schwachen Strömen wieder geweckt. Hat auch schon nach dir verlangt, aber ich wußte nicht, wo wir dich finden konnten. Es gibt so viel zu tun heute.« Es klang wie eine Entschuldigung. Sie führte mich durch ein paar Zimmer, alles verschwamm vor meinem Blick, öffnete leise eine Tür, schob mich hinein in einen halbverdunkelten Raum, sagte leise: »Dein Karl kommt …« und ließ uns allein.
    Da wie durch Schleier … ein Bett, ich hörte eine wunderbare weiche Stimme, zwei Arme streckten sich mir entgegen. Wer mir half, die drei Schritt zu gehen, weiß ich nicht. Ich kniete, sank vornüber und Jana fing mich auf.
     
    Ihr möchtet gern wissen, was draußen in den nächsten Stunden geschah, wie die Genossen empfangen wurden, die als Soldaten, religiöse Sektierer und Goldgräber davongelaufen waren und nun als freie Proletarier in breiten Kolonnen zurückkehrten, wie die Jugend des ganzen Landes in Flugschiff-Geschwadern herbeieilte und rings um den Turm ihr rotes Zeltlager aufbaute, wie überall die Spuren der Zerstörung durch tausendfache bereitwillige Hilfe ausgetilgt wurden. Davon kann ich euch nichts erzählen. Gewaltiger Massensang schlug zu uns herauf, Surren und Summen der Luftschrauben dröhnte heran und klang ab. Wir fühlten, wie der gesunde, mächtige Takt der Herzmaschine im Gemeinschaftskörper auch uns durchdrang. Aber das große Glück, die überstürzende Freude, uns wiedergefunden zu haben, übertönte alle anderen Stimmen. Wir hielten uns umschlungen, und in dieser Vereinigung erneuerte sich unsere Welt.
    Janas Wangen begannen sich zu färben. Sie sehnte sich nach Licht und Luft. Ich ließ die Fensterwand zur Seite gleiten. Wir sahen weithin über das blühende, wiedergewonnene Land. Da kamen auch wieder die Worte zu uns zurück und die Erinnerung an den bösen Traum. »Ja, wie ein schrecklicher Traum war es«, sag te Jana und verschränkte ihre Hände in meinen, als wollte sie sich in der Wirklichkeit verankern. »Der Strudel packte uns und riß uns in die Stadt, wir konnten nicht widerstehen. Die Genossen, mit denen ich im Magnetbahnwagen gereist war, wollten mich umarmen. Ich hatte kaum Kraft, mich zu wehren. Nur noch bis zum Turm … laßt mich. Da gab’s genug hübsch geputzte Frauen, sie lachten mich aus und nahmen andere.
    Schritt um Schritt kämpfte ich mich voran, schloß die Augen, um nicht zu sehen, wie sie tanzten und liebten, hielt mir die Ohren zu, um nicht Musik und Lustgekreisch zu hören. Nur manchmal blinzelte ich zwischen den Lidern nach dem Turm, der schon dicht vor mir ragte, und sprach deinen Namen vor mich hin, um ihn nicht zu vergessen. Nur noch wenige Meter, rief ich mir zu! Es rauschte und dröhnte mir im Kopf. Die Füße versagten den Dienst. In letzter Willensanstrengung, mit festgeschlossenen Augen, warf ich mich vorwärts, glitt, stürzte und dann war alles vorbei …«
    Jana ballte ihre kleine, energische Faust, als wollte sie den schlimmen Erinnerungen handgreiflich zuleibe gehen. Sie versuchte, aufzustehen, ich stützte sie, und es gelang. »Du siehst, ich bin schon ganz stark«, lächelte sie tapfer. »Ich will wieder an meinen Platz in der Jugendsiedlung. Komm mit, es gibt für uns beide genug zu tun!«
    »Das wäre das Paradies, Jana, aber ich glaube, wir können in der Hölle noch nützlicher wirken. Joll braucht Pioniere für die Weltagitation. Dafür sind wir die rechten Leute. Ich kenne die Ränke und Schliche der alten Klassenwelt aus eigener Erfahrung, du verkörperst reiner als ich den Menschen der kommenden Arbeiterunion, um die wir kämpfen. Wir wollen Wort und Tat in einem sein.«
    Jana versuchte, mich umzustimmen, aber ich merkte doch, wie mein Vorschlag in ihr Wurzel faßte. Während wir uns gegenseitig zu überreden suchten, klopfte es mädchenhaft-schüchtern an die Tür. Den Finger am Mund und »pst pst!« flüsternd, schob sich Hein im Diebsgang herein.
    »Ich weiß alles …«, flötete er, schwebte auf Jana zu und drückte seine Lippen auf ihre Fingerspitzen, ohne einen eleganten Kratzefuß zu vergessen.
    »Bin doch kein zerbrechliches Glasfigürchen?« fragte Jana spaßigverwundert. »Fürchtest dich vor deiner ei genen Stimme?«
    Hein hieb sich auf die Schenkel, daß es krachte. »Mensch, Korl, dat’s ’n Fest!« schrie er und lachte unbändig. Dann umarmte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher