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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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wie der Donner von stürzenden Wassermassen zu uns herauf. Ich wußte, sie jauchzten ihm nicht zu wie einem Feldherrn, der den Sieg erfochten hat; er war ihr Gewissen und ihre bessere Einsicht, er verkörperte den Geist, der sie alle zur großen Einheit zusammenband. Sie feierten ihn nicht als Helden, sondern als den Genossen, der im Auftrag aller seine Pflicht getan hatte.
    Die großen Transport-Flugschiffe landen inzwi schen auf der zertrampelten, lehmigen Fläche, wo Morgons Rummelplatz gewesen war.
    Joll zieht seine letzte Schleife und setzt langsam neben Tirwa auf, der zur Seite tritt. Das Geschrei verstummt, es wird still, auch die Fahnen ruhen, die aus allen Stockwerken des Turms dem Führer den Gruß zugewinkt haben. Es wird still wie in der weiten Natur, wenn du spürst, daß sie ihr ungeheures Werk in schweigender Tat vollendet.
    Joll verläßt die Maschine. Der Raum um ihn bleibt frei. Nichts geschieht, und doch halten wir alle den Atem zurück. In diesen Sekunden schweißt uns der Schmerz aneinander. Die Toten, die Opfer, sind unter uns getreten, und ihre stumme Klage durchzittert alle.
    Dann … im Kreis hinter Tirwa entsteht Bewegung, drei, vier Genossen, die in der Stadt gewesen waren, Verwundete, weiß leuchtet die Kopfbinde des einen heraus, zwei andere gehen lahm, auf Stöcke gestützt, durchbrechen den Bann, nähern sich Joll – die Starre weicht von uns – Joll springt ihnen entgegen, hält sie auf, umarmt einen nach dem anderen, lange, drückt Tirwa, der ihnen langsam folgt, rasch die Hände, und dann zurück auf die Balustrade, wo alle ihn sehen können, auch die unten vor dem Turm. Er breitet die Arme aus und ruft in den Schallkasten, der seine Stimme tausendfach und allen vernehmbar verstärkt:
    »Es lebe – die freie Arbeitergenossenschaft – der Welt!«
    Noch bevor das Echo von den Hausburgen zurückbricht, braust der Massenruf:
    »Es lebe – die freie Arbeitergenossenschaft – der Welt!«
    Alle wissen, was in diesem Gelöbnis beschlossen ist. Aus dem Lande Utopia muß der Kampf um Recht und Freiheit über die Erde hingetragen werden. Die Zeit ist reif. In allen Weltteilen versuchen die Morgons, ihre Herrschaft durch Betrug und Einnebelung der Vernunft zu festigen. Überall besolden sie Mordknechte und Aufseher, Diplomaten und Priester, Diktatoren und andere Scharfrichter des Kapitals, um Proletarier wehrlos zu machen, ihre Eintracht zu stören und ihre Kraft zu brechen.
    Von unten tönt es herauf, und im Augenblick reißt es alle mit, wie Sturm fegt es über die Stadt weg:
    »Wacht auf, Verdammte dieser Erde! …«
    Ich denke an den Keller, in dem Heins Schützlinge das gleiche Lied gesungen hatten wie eine gelernte Schulaufgabe, mechanisch, ohne von seinem Sinn ergriffen zu sein. Ich denke an frühere Zeiten, manche Versammlung bei uns im alten Land, wo wir es sangen, weil es sich so gehörte, weil es die Gewohnheit so wollte.
    Hier aber ist es Schwur und Bekenntnis, Aufruf und Parole, und so muß es sein. Als die Tausende in gewaltiger Steigerung über alle Grenzen hinweg die Fanfare erklingen lassen: »Völker, hört die Signale!«, setzen wieder Sirenen ein. Die Häuser singen mit. Man hört sie. Aus der Ferne, aus der Stadt der Industriewerke, brüllt die Antwort herüber. So fliegt es von Ort zu Ort, Signale der Arbeit, gewaltiger als Glockenklang, friedvoller und mächtiger als Kanonensalut.
    Joll springt herab, die Menge umringt ihn, viele Hände muß er schütteln, auf viele Fragen rasche Antworten hinwerfen, die sich im Nu verbreiten: die Genossen, die er durch den Lichtspuk aus ferngelenkten und als Wolken verkleideten Schraubenfliegern aus der Stadt locken ließ, sind auf dem Rückmarsch, er ist über sie hingeflogen, in wenig Stunden werden sie da sein. Aus allen Teilen des Landes sind Geschwader gemeldet. Alle Genossen, die abkommen können, und vor allem die Jugend, wollen noch heute die geretteten Kameraden begrüßen. Am Nachmittag wird der Zentralrat in der Turmhalle zusammentreten. »Jeder an seine Arbeit!« ist Jolls letztes Wort, bevor er mit Tirwa im Turm verschwindet.
    Sie sind schon dabei. Die Massen gliedern sich in Kolonnen. Die Hausburgen müssen wenigstens notdürftig wieder zum Wohnen hergerichtet, die Gemeinschaftsküchen in Betrieb gesetzt werden. Die Transportflieger laden riesige Mengen von Nahrungsmitteln aus, die sofort verteilt werden. Ein starkes Schutzkommando besetzt U-Privat.
    Nicht viele Minuten sind vergangen, seit Joll gelandet ist, und schon
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