Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
Vom Netzwerk:
uns im Auto verstaut. Wir sausten los, ohne daß jemand das Steuerrad hielt, flitzten um Ecken, wichen andern ebenso feinen Kraftkutschen aus, niemand hupte. … Wir saßen steif und starr vor Angst, während die drei Herren, die uns zu dieser Spazierfahrt im Rekordtempo eingeladen hatten, sorglos wie Kinder lächelten und sich nicht im geringsten darum kümmerten, daß die wild gewordene Maschine mit uns durchging.
    Hein stieß mich leise an und flüsterte mißtrauisch zwischen den Zähnen, ohne den Kopf zu drehn: »Dat gefällt mich nich, Korl – dat is ’n gemeingefährlicher Jux – keen Taifun schlägt mir in die Kaidaunen, aber dat Geschunkel in die Achterbahn bekömmt mich nich –« und er war blaß von Angesicht.
     
2
     
    Wir fuhren durch ein Tor. Im Innenhof des Hauses schraubte sich die Straße wie ein ausgebohrtes Gewin de von Stockwerk zu Stockwerk. Dicht unterm Himmel hielten wir und durften aussteigen. Die Tennisspieler faßten uns unter die Arme, das hieß, wir sollten mit ihnen gehn. Heins Muskeln zuckten unter dem zerschlissenen Wollschwitzer. Ich riet ihm aber ab, schon jetzt handgreiflich zu werden, die Leute sähen nicht wie Bösewichter aus, auch mache eine allzu schnelle Faust am Kinn des Nachbarn keinen guten Eindruck. Da bezwang er sich. Das war zu unserm Vorteil. Wir traten in einen großen Speisesaal mit langen weißgedeckten Tafeln. Blumen waren zierlich zwischen den Tellern ausgestreut. Ich hatte Ähnliches in großen Hotels von außen durch die Fenster gesehn. Während wir den Ort musterten, rückten auf einem blanken Metallband inmitten des Tisches Schüsseln an, aus denen es dampfte. Wir sahen und hörten nichts mehr, die Welt hatte nur noch durch die Nasenlöcher Zutritt zu unserm Innern. Die Schüsseln machten vor uns halt und öffneten ihre silbrigen Deckel. Uns wurde schwach in den Knien, da saßen wir schon auf den Stühlen.
    Es war uns anfangs genierlich, angesichts so sauber gekleideter Leute, die sich so bequem und wohlhabend in ihren Gebärden hielten, unsern Hunger zu stillen. Aber wir gewöhnten uns rasch, zumal noch einige Gerichte heranschwebten und uns niemand die Bissen in den Mund zählte. Die drei Leute im Tennisanzug freuten sich über unsern Appetit – später staunten sie. Wir schnallten an die drei oder viermal den Leibgurt nach. Endlich lehnten wir uns in die Sessel zurück und fühlten uns leiblich neu geboren.
    Den Rosinenkuchen ließen wir unversehrt. Wir gedachten ihn als Proviant an uns zu nehmen, aber die Gelegenheit war gegen uns, mindestens einer von den Dreien hatte immer ein Auge auf uns, wenn auch nur zufällig.
    Wir reckten und dehnten uns, wobei unversehens Hein seinen Dank für die reichliche Mahlzeit kurz, aber sehr heftig zum Ausdruck brachte. Wir erschraken peinlich, traten doch gerade in diesem Augenblick einige sehr schöne junge Frauen durch die Tür, denen dieses unbedachte Geräusch nicht entgangen war. Sie waren indessen nicht beleidigt, sondern lachten und vermieden es nur, unsre Nähe zu suchen, wie auch die drei Tennisspieler, ohne uns zu verjagen, heiter blieben und lediglich einige Schritte zurückwichen.
    Nachdem sie der Natur ihre Zeit gelassen hatten, schüttelten sie uns wie guten Freunden die Hände und gingen. Bezahlt hatten sie nicht, wir erwarteten mit einiger Besorgnis den Kellner. Statt dessen winkte uns eine von den Damen. Weil wir jedoch nicht glauben konnten, daß es uns gälte, drehten wir die Köpfe weg. Sie kam näher, berührte unsre Schultern mit ihren feinen Händen und redete sehr zutraulich. Obwohl wir es nicht verstanden, merkten wir doch, daß wir mit ihr gehn sollten. Wir wußten keinen Grund, ihr diesen Wunsch zu verweigern, denn sie war sehr hübsch, nur etwas zu mager, meinte Hein.
    Wir folgten ihr in den Fahrstuhl, sausten abwärts, trabten durch einige gekachelte Gänge und kamen in einen weiten hellen Raum. In dem großen runden Wasserbecken inmitten der Halle schwammen und plantschten Männer und Frauen. Badehosen trug niemand, aber sie bewegten sich trotzdem ganz natürlich und waren sehr lustig. Sie spielten wie schöne Tiere, freuten sich an der Gewandtheit ihrer prächtig geformten Leiber. Scheele Blicke auf das Besondre, das wir verhüllen, als wäre es krank und böse, sah ich nicht. Es blieb uns jedoch vorerst nicht viel Gelegenheit, uns über andre zu wundern, da uns die Dame vor zwei Duschen führte und bedeutete, wir sollten uns ausziehn. Wir zierten uns aus Anstand. Sie glaubte aber, wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher