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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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Gedanken. Alle die tausend Listen und kleinen Betrügereien, die wir täglich anwenden müssen, um uns Geltung zu verschaffen und den Vorteil zu erjagen, ohne den wir von den Nachdrängenden zertrampelt werden, hatten hier keinen Sinn. Vielleicht waren sie keine »besseren« Menschen als wir, aber die Form des Zu sammenlebens, die sich unter ihnen herausgebildet hat te, schloß böse Raubleidenschaften einfach aus und erzog sie zu geraden heiteren Wesen, denen nichts natürli cher war, als Hilfsbereitschaft und mitteilsame Freund schaft. Weshalb sie so sein konnten? Der ungeteilte Ertrag ihrer Arbeit floß ihrer Gemeinschaft zu, die Arbeitsenergien waren ökonomisch zusammengefaßt und in weit höherem Maße als bei uns ersetzte der Maschinen-Automat das Werk der Hand. Bis ins letzte durchdachte Technik und Rationalisierung bedrohte hier nicht die Existenz des Arbeiters, sondern steigerte sie. Die tägliche Arbeitspflicht betrug vier Stunden.
     
    Bei diesem ersten Spaziergang begegneten wir auch anderen Gestalten: Männern mit schwarzem Gehrock, den Zylinder auf dem Haupt, die Brust übersät mit klirrenden Orden und Medaillen. Sie schwitzten unter ihrer Würde und zeigten saure Mienen. Das waren die Geschäftemacher, von denen Joll gesprochen hatte. Kein Mensch kümmerte sich um sie, wenn sie steifgebügelt vorüberstelzten. Sie mochten wohl selbst fühlen, daß sie nur noch geduldet waren, so griesgrämig und verbissen schauten sie drein und verschluckten ihren Ärger, wenn sie vor den fröhlichen leichtgekleideten Genossen ausweichen mußten. Man nannte sie kurz: die Privaten.
    Wir wunderten uns, daß sie so feierliche Anzüge trugen und so schweren Klimperkram. Darüber belehrten uns lachend die Genossen. »Staatsgesetz!« erklärten sie. »Ihr wißt doch, wie sehr diese Herren an Titeln und sichtbaren Auszeichnungen hingen und sie benutzten, um sich über das »gemeine Volk« zu erheben. Wir verleihen sie ihnen noch viel bereitwilliger, als ihre Regierungen in früheren Zeiten. Nur knüpfen wir dar an die Bedingung, daß sämtliche Orden und Ehrenzeichen ständig zu tragen und im Verkehr mit den Behörden alle Titel und Rang-Bezeichnungen zu nennen sind, bei Strafe der Enteignung des Besitzes. Der da drüben«, sie zeigten auf einen vorüberschnaufenden Specknac ken, »schleppt zum Beispiel die dreipfündige Staatsmedail le für Klassenmord über dem Herzen und die fünfpfündi ge Ehrenkette für Presseschwindel mit dem Großkomturkreuz für fortgesetzte Steuersabotage um den Hals und man kann begreifen, daß er sich dabei nicht besonders wohl fühlt. Wollen mal hören, wie er heißt.«
    Wir traten zu ihm und fragten nach seinem Namen. Er rollte fürchterlich die Augen, zog jedoch höflich den Hut und ächzte: »Graf Speck zu Klauburg, wirklicher geheimer Dividendenschlucker und Konjunkturschwindler, Staatskassenausplünderungsrat a. D. und Ehrenmitglied der Akademie der erfolgreichen Konkurskünste, zu dienen, meine Herren.«
    Wir bedankten uns und ließen ihn laufen.
    Hein kniff mich in den Arm. »Schade«, meinte er, »dat hier nich Willem seine flüchtigen Zelte aufgeschlagen hat. Ick würde ihm ’ne hundertpfundige Gasgranate mit Weltkriegsleichengestank unter die Neese hängen und ihn zum Professor für Fahnenflucht und Volksverrat ernennen.«
     
5
     
    Am Abend bezogen wir ein großes luftiges Zimmer in einem der Gemeinschaftshäuser.
    Wir vermißten leider in unserer Wohnung die ersehnten Betten und glaubten schon, in Utopia lege man sich nachts auf den kalten Fußboden und decke sich mit seiner eigenen Haut zu. Einer unserer neuen Freunde, der unseren Kummer bemerkte, drückte lächelnd auf einen Knopf. Da schoben sich die getäfelten Wände auseinander und je ein blitzendes Metallbett klappte sich geräuschlos herunter. Ebenso kam eine Wascheinrichtung zum Vorschein, die man tagsüber verschwinden ließ. Wohn- und Schlafzimmer getrennt in einem Raum.
    Während wir uns auszogen und wuschen, meinte Hein, wenn das so weiter gehe, würde er in acht Tagen zu faul sein, sich noch einen Hosenknopf selber zuzumachen. Er stemmte zwanzigmal den massiven Tisch, der zwischen den Fenstern stand, um sich auszuarbei ten, fiel dann in die Kissen und atmete sofort im Schlaf wie ein gewaltiger Blasebalg.
    Ich löschte das Licht und schaute hinaus auf das Meer. Boote mit bunten Lampen schwankten auf der glitzernden Fläche. Fröhlicher Gesang tönte herauf. Im Süden und Norden der Bucht strebten wie Lichtsäulen
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