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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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einen gewaltigen Landkomplex. Die Gebäude, nur einstöckig, rings von breiten überdachten Terrassen umlaufen, lagen weit verstreut im Park- und Wiesengelände.
    In jedem Haus waren ungefähr hundert Buben und Mädel untergebracht. Im ersten Stock lagen die luftigen Schlafsäle und Wohnräume, im Erdgeschoß die Werkstätten, Schulräume, ein Weiheraum. Elektrische Küche, Speicher, Wasch- und Baderäume im Keller.
    Solange es das Wetter einigermaßen erlaubte, spielte sich alles Leben im Freien ab. In den schwülen Sommernächten zog die ganze Kolonie mit Hängematten in die benachbarten Wälder und schlief dort.
    Ich wanderte von Haus zu Haus und merkte kaum, wie der Tag verging. Gegen Abend kam ich auf eine sanfte Anhöhe. Die Vorsteherin des weißen Hauses, das dort zwischen immergrünen Bäumen wie auf einer Insel lag, bewillkommnete mich herzlich. Sie war ein schönes Mädchen von etwa 24 Jahren.
    Wir setzten uns vor die Terrasse auf eine Bank und genossen den Ausblick auf das ferne Meer, über das die letzten Strahlen der Sonne liefen. Vor uns, auf den Wiesen, tollten die Buben und Mädel nackt und unbekümmert.
    Sie kamen zu uns heraufgesprungen und baten uns, ein Fangespiel mitzumachen.
    Ich kratzte mich bedenklich hinterm Ohr. Aber schon war die Genossin aufgestanden, hatte ihren Rock abgestreift, gab mir lachend einen Klaps auf die Schulter und lief davon.
    Ich erinnerte mich plötzlich, vor 20 Jahren ein berühmter Indianerhäuptling gewesen zu sein, wofür mir mein Vater häufig genug die Hosen straffgezogen hatte.
    Mit echtem Siouxgeheul sprang ich auf und setzte der hellen, schlanken Gestalt nach. Die Kinder rannten mit, schrien und feuerten uns an. Leider sah ich bald ein, daß der große Häuptling seine Künste überschätzt hat te. Die schöne Verfolgte neckte mich, versteckte sich hin ter Bäumen, schlug die gefährlichsten Haken, entwischte immer wieder wie der Wind. Schließlich, als ich wie ein gefoppter Jagdhund japste, ließ sie sich freiwillig fangen. Die Kinder jubelten und verspotteten meinen kurzen Atem.
    Inzwischen waren die Sterne aufgegangen und ich dachte mit Wehmut an den weiten Rückmarsch.
    Die Genossin rief die Kinder zusammen und sprach mit ihnen: »Wollen wir dem Genossen Karl« – sie hat te sich meinen fremdländischen Namen gut gemerkt – »Asylrecht gewähren?«
    »Ja«, schrien alle, »er soll bei uns bleiben und uns morgen von den Genossen in Europa erzählen!« Ein Fünfzehnjähriger, der wohl die Hausverwaltung führte, trat vor und meinte sachlich: »Wir haben in den Schlaf sälen alle Betten belegt, du mußt Karl mit in dein Zimmer nehmen, Genossin.«
    Sie nickte zustimmend. »Gewiß, das zweite Bett bei mir steht frei, komm!«
    Mir wurde heiß und kalt und ich wäre plötzlich herzlich gerne nach der Stadt zurückgetrabt. Aber weshalb denn? Ich gab mir einen Ruck. Endlich frei werden von der Schamlosigkeit, den Körper wie ein aussätziges Geschwür zu verbergen. Endlich sich seiner wohlgeratenen Glieder freuen dürfen. Erst hier spürte ich, wie weit ich schon vermuckert war.
    Ich schlug freudig ein und gelobte mir im stillen, den ganzen Plunder einer verlogenen Unmoral gründlich zu vergessen.
    Wir gingen in das Haus. Lange Tische wurden auf die Terrassen herausgeschoben, dort aßen wir. Lieder wurden gesungen. Zart girrende Instrumente summten in die Nacht hinaus. Von einem Nachbarhaus kamen Burschen und Mädel zu Besuch. Sie hatten in ihrer Werkstatt in monatelanger Arbeit eine Verbesserung an der automatischen Weichenstellung herausgetüftelt und berichteten nun voller Erfinderstolz von den Vorzügen ihres Systems.
    Die Debatte wurde von unseren Jungens sachkundig geführt. Als man sich in einigen technischen Fragen an mich wandte, konnte ich leider nur mit den Schultern zucken.
    Ich war froh, als meine Zimmerkameradin die Sit zung aufhob.
    Lange lag ich wach und lauschte auf die ruhigen, tiefen Atemzüge der Schläferin neben mir.
    »Jana« war sie von den Kindern gerufen worden.
    »Jana – Jana« flüsterte ich vor mich hin.
    Und ich pries unseren Schiffbruch als ein glückliches Verhängnis.
     
7
     
    Ich blieb etliche Tage in der Kindersiedlung. Wir durchstreiften gemeinsam den riesigen Park, badeten im Meer, trieben Laufsport am Strand, kletterten im Felsgebiet der Berge. Häufig übernachteten wir im Freien und ließen uns von dem nächstgelegenen Siedlungshaus verpflegen.
    Unsere schöne Führerin und Kameradin wuchs mir immer mehr ans Herz. Da ich
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