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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis
Autoren: Werner Illig
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die Reeperbahn gibt. Erst fallen wir mal in ’n Kientopp rin. Ich hab ’ne mächtige Sehnsucht nach ’m Drama mit ’ner Portion Liebe drin …«
    Na schon. Ein Wort für Kino hatten wir nicht gelernt. Wir erklärten also mühsam einem Genossen, was wir suchten. Richtig, so was hatte es früher gegeben, vor dreißig oder mehr Jahren. »Jetzt machen wir das anders«, sagte er stolz und führte uns in eine gewaltige Arena, in der schon Tausende von Menschen in bequemen Sesseln warteten. Der Raum war gegen den Nachthimmel offen, konnte aber im Winter oder bei Regen durch riesige Faltwände, die jetzt unterirdisch versenkt waren, geschlossen werden.
    Die Lampen verlöschten. Dafür erstrahlte die leere Mitte des Raumes in Tageshelle. Gewaltige Eisenkonstruktionen und Maschinen fügten sich zur Fabrikhalle, in der sich plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, Menschen bewegten und sprachen. Obwohl wir ziemlich am Rand des Theaters saßen, verstanden wir jedes Wort, ohne daß die Spieler sich anzustrengen schienen.
    »Das müssen ja Riesenkerle sein«, sagte Hein. »Wir sitzen unsere dreißig Meter von ihnen weg, dabei sind sie so groß, als stünden sie neben uns.« Er grübelte jedoch nicht lange nach und war ganz Spannung. Mein Nachbar erklärte mir leise, das Ganze beruhe auf einer plastischen Lichtspiegelung. Die Vorstellung gehe soeben 1000 Kilometer von hier in der Hauptstadt Utopolis vor sich und werde drahtlos an alle Theater Utopiens telegraphiert. Ebenso würden die Worte übertragen und durch Lautsprecher über den ganzen Raum in natürlichem Redeton verbreitet.
    Die Übertragung war in Farbe und Ton so vollkommen, daß ich geschworen hätte, lebendige Menschen vor mir zu sehen.
    Das Stück selbst gab einen Ausschnitt aus der revolutionären Geschichte der Arbeiter-Genossenschaft. Schauplatz des Spiels war ein Eisenwalzwerk.
    Rotglühende Eisenblöcke werden von schweißtriefenden Männern auf niedrigen Karren an die Walzen herangebracht.
    »Wie sich die armen Hunde damals schinden mußten«, sagte eine Genossin vor mir.
    Der Unternehmer im weißen Sommeranzug steht dabei und schimpft über die Saumseligkeit der Arbeiter.
    Einer der Schmiede tritt auf den Unternehmer zu, während die anderen sich auf die langen Greifzangen stützen, und bittet ihn um eine Lohnzulage. Es sei unmöglich, mehr zu leisten, wenn man kaum den größten Hunger stillen könne.
    Der Unternehmer brüllt den Mann an, er sei entlassen, er dulde keine Aufwiegler. …
    Der mächtige Schmied tut einen Schritt gegen den zornroten Mann in der weißen Kapitänsmütze, nicht drohend, sondern als wolle er eindringlicher seine Forderung begründen.
    Der Unternehmer schlägt ihm die Faust ins Gesicht, reißt zwei Revolver aus den Taschen und kreischt: »Hände hoch!« Der Getroffene taumelt rückwärts, rutscht und stürzt auf den glühenden Eisenblock, der ihn gräßlich verbrennt. Die Kameraden müssen seiner grausamen Qual mit erhobenen Händen untätig zuse hen, denn zwei Feuerrohre drohen zwölffachen Tod.
    »Dieser Schmied war ein Vorfahre von Joll«, be lehrte mich mein Nachbar.
    Leidenschaftliche Streikversammlungen folgen. Kämpfe gegen das Militär, das die Eisenwerke besetzt hält, fordern Proletarierblut. Die Villa des Unternehmers geht in Flammen auf. Ein Teil des Militärs tritt auf die Seite der Revolutionäre. Der Kampf ist gewonnen. Über den gewaltigen Eisenhallen des Werkes flattert im Sturm die riesige rote Fahne.
    Die Zuschauer jubelten ihr zu, sprangen von ihren Sitzen, und brausend erscholl im Massengesang die Internationale.
    Nach einer Pause kam »Das Leben in der alten Welt«. Der Genosse neben mir erklärte, daß als Frachtdampfer maskierte Schiffe der Utopier ständig unterwegs waren, um mit feinsten Aufnahmeapparaten die Vorgänge auf den alten Kontinenten zu kontrollieren und als Anschauungsunterricht nach Utopien zu telegraphieren.
    Plötzlich erschien in leibhaftiger Große im schönsten Sonnenschein die Einfahrt in den Hamburger Hafen. Langsam näherten wir uns den Landungsbrücken.
    Hein war aufgesprungen und röchelte, keines Wortes mächtig, wie ein verwundeter Stier.
    Da war ja auch seine geliebte Reeperbahn. Matrosen schlenderten, ihre Mädchen am Arm, und verschwanden in den kleinen Kellerkneipen.
    Um die Ecke eines Seitengäßchens bog ein hübsches, dralles, aufgeputztes Frauenzimmer. Da krachte unter Heins Fäusten die Barriere zusammen. Er brüllte: »Hallo, Kathrin! Hier ist Hein!« Sie kehrte sich
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