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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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zum Teil auf
     Hangstücken einer Wohnungsgesellschaft. »Es geht bei dieser Vermessung nicht um Rückbau. Aber wenn jemand im Winter an einer
     Garage stürzt, haftet nicht der Garagenbesitzer, sondern, weil es auf ihrem Grundstück geschah, die Wohnungsgesellschaft!«
    Endlich stelle ich die Frage, die ich schon lange stellen wollte: Fühlt der Vermesser mit den Leuten, die nach der Vermessung
     eventuell das Grundstück, auf dem ihr Haus seit Jahrzehnten steht, verlieren, sich unverschuldet verschulden oder gar ausziehen
     müssen?
    Wolfgang Barthel: »Ja. Man merkt, dass man mit den Flächen immer auch das Leben vermisst.«
    In Erfurt hat ein in den alten Bundesländern wohnender Mann ein Büro für einen Rechtsanwalt eingerichtet. Der Rechtsanwalt
     klagte für den Mann ein Grundstück nach dem anderen zurück. Sein Großvater, ein Erfurter Kohlenhändler, hatte zur Inflationszeit,
     als nur wenige die Kohlen bezahlen konnten, viele Häuser und Grundstücke in Erfurt erworben. Er war nach dem 7. Oktober 1949,
     dem Stichtag für die Rückgabe, enteignet worden. Damit hat der Enkel Anspruch auf alle Grundstücke des Großvaters. Auf einem
     dieser in der DDR im Kataster als kommunales Eigentum eingetragenen Grundstücke hatte eine Wohnungsbaugenossenschaft Häuser
     gebaut. Die Mitglieder zahlten ihr Geld ein, halfen beim Bau, besaßen schließlich eine ihnen gehörende Wohnung. Sie waren
     schuldenfrei, bis der Enkel des Kohlenhändlers auf Rückgabe klagte. Er verlangte und bekam von der Wohnungsbaugenossenschaft
     eine Summe im siebenstelligen Bereich. Und beauftragte danach seinen Anwalt mit der nächsten Rückgabeklage und die Geodäten
     mit der nächsten Vermessung …
    Wolfgang Barthel kommentiert das nicht. Stattdessen fragt er, ob ich schwarzen Tee trinken möchte. Wenig später bringt eine
     Mitarbeiterin auf einem Tablett Teekanne, Tassen, Löffel und das Glas mit der Waldbeerenkonfitüre aus dem Pausenraum. Walter
     Barthel trinkt den Tee nach russischer Art, indem er Konfitüre hineinrührt. Wie Helmut Hoffmeister hat er die Moskauer Hochschule
     für Vermessung besucht. Vor 15 Jahren war er noch einmal zu einem Geodätenkongress in Russland.»Der Leiter des dortigen staatlichen Vermessungsamtes besaß ein privates Vermessungsunternehmen und schob sich die staatlichen
     Aufträge zu. In einem anderen Büro zeichnete eine junge Frau einen Lageplan. Ich fragte: ›Wie lange werden Sie daran arbeiten?‹
     – ›Zwei Wochen.‹ Ich sagte ihr nicht, dass wir das inzwischen an Computern in 30 Minuten erledigen. Aber ich erinnerte mich
     plötzlich: Vor einigen Jahren dauerte das bei uns auch noch zwei Wochen. Und war froh, dass wir das hinter uns haben.«
    Heute treffen sich die Mitglieder der Grenzkommission DDR – BRD, die seinerzeit als Vermesser des »Feindes« die Koordinaten
     der Grenze festlegen mussten, jedes Jahr zweimal zum gemeinsamen Umtrunk. Und die Vermesser, die in der DDR nicht zu den Beschützern
     und Beförderern von Privateigentum zählten, werden heute wie selbstverständlich zu jedem privaten Richtfest eingeladen.
    Zwar hätten die Thüringer Politiker 1990 nicht nur die Gesetze und Regelwerte des Vermessungswesens aus den alten Bundesländern
     übernehmen sollen, sondern auch positive Aspekte aus der DDR wie die gemeinsame Verwaltung von Grundbuch und Kataster und
     die sehr genauen Vorschriften für die Ingenieurvermessung. »Doch das ist Geschichte«, sagt Wolfgang Barthel. Er zeigt mir
     in einer Vitrine die alte ungebrauchte Messstation, die ihm der Wiesbadener Kollege geschenkt hatte, damit er 1991 das nötige
     Eigenkapital für den Kredit vorweisen konnte. »Viele Westdeutsche haben damals geholfen, dass wir staatlichen Vermesser uns
     in der freien Marktwirtschaft zurechtfanden. Aber manchmal …«
    Ohne weiterzureden, geht er mit mir in einen weißgetünchten Kellerraum, in dem sich die Kollegen nach dem Außendienst waschen
     und umziehen können. In der Ecke steht ein Becken, das mit Rollen und Bürsten und Abflussrinne einer Miniatur-Autowaschanlage
     ähnelt. Und nun vollendet der freie, öffentlich bestellte Vermessungsingenieur den angefangenen Satz: »Aber manchmal sind
     wir tüchtig reingefallen.«
    Der Architekt des Büros hatte seinerzeit vorgeschlagen, im Keller auch ein Becken zum Abwaschen der schmutzigen Schuhe einzubauen.
     »Ich dachte an die Betonmulde, die ich von der Armee kannte. Wasserhahn und Seife und Handbürste daneben. Herausgekommen ist
    
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