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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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die Grenze nicht anerkannten, vermaßen sie
     den Todesstreifen gemeinsam mit unseren Genossen und setzten die Grenzsteine 1975 und 1985 zentimetergenau und fest wie für
     die Ewigkeit …«
    Die Ewigkeit endete für Dr. Hoffmeister schon zwei Tage vor der Vereinigung. Am 1.   10.   1990 gründete er ein eigenes Ingenieurvermessungsbüro.
    Danach konnte er sich auch den Traum einer neuen, von ihm vermessenen Eisenbahnstrecke erfüllen: die Vorplanung der Trasse
     für den ICE und Güterverkehr zwischen Erfurt und Halle. »Die Brückenpfeiler, die heute auf der leider immer noch nicht fertiggestellten
     Strecke stehen, sind auch unsere Arbeit. Ich hatte damals die Hallenser Ingenieurvermessung und Experten der Bundeswehr dazugenommen.
     Die von der Bundeswehr besaßen die neusten Messinstrumente.«
    An dieser Stelle stockt er, grinst diebisch und sagt, dass er wegen der »Pershing-Rakete in einem Zeiss-Gerät« noch einmal
     von der DDR-Zeit erzählen muss.
    »1982 hatten die Zeissianer in Jena das damals modernste Tachymeter der Welt zur elektronischen Schnellmessung von Winkeln,
     Strecken und Höhen entwickelt. Ein elektronisches Bauteil dafür lieferten die BRD-Un ternehmen , weil sie an die DDR keine Mikroelektronik verkaufen durften, wie damals üblich über Schweden an die DDR. Doch dieses Bauteil
     steckte auch in der Pershing! Sofortiger Lieferstopp! Auf Politbürobeschluss sollte das Kombinat Mikroelektronik Erfurt umgehend
     einen eigenen Chip entwickeln. Es dauerte und dauerte, 1987 befahl der Kombinatsdirektor von Carl Zeiss Jena, der diktatorische
     Wirtschaftsgeneral Biermann, seinen Leuten: ›Macht es selber!‹
    Nach zwei Jahren, am 3. November 1989, sechs Tage vor der Maueröffnung, ließ Genosse Biermann, kurz bevor er abgesetzt wurde,
     noch stolz die Nullserie des 1982 entwickelten Tachymeters präsentieren. Sieben Jahre, so lange bis das Gerät längst auf dem
     Weltmarkt veraltet war, hatten die nie abgeschossenen Pershing-Raketender DDR zumindest eine ökonomische Niederlage beigebracht.«
    Das hinderte Dr. Hoffmeister allerdings nicht, aus Solidarität mit Zeiss den Oldtimer noch für sein neues Vermessungsbüro
     zu kaufen. Damals arbeiteten sie an einer Ferngasleitung, die sofort nach dem Vermessen zugebuddelt wurde. Aber die Elektronik,
     die alle Messdaten des Tachymeters speichern sollte, versagte im Regen! Alle Daten waren weg.
    »Einer meiner Mitarbeiter nahm das Ding mit nach Hause, erhitzte es mit dem Fön, und plötzlich waren die Daten wieder auf
     dem Speicher. Später hat Zeiss alle Pershing-geschädigten Tachymeter in Deutschland zurückrufen lassen und nach Polen geschickt.«
    Über seine Zeit nach der Wende sei nicht viel zu berichten. Neu sei in der Arbeit nur, dass nicht nur die Vermesser, sondern
     auch die Umweltaktivisten und Ökofreaks, die in der DDR bei Neubauten kaum Möglichkeiten hatten zu protestieren, eine neue
     Freiheit gewonnen haben.
    »Als die Bahnstrecke in der Elsteraue bei Halle vermessen wurde, schoss man mit Schrotkugeln. Und im Gipswerk Ellrich musste
     ich im ersten Abbaugebiet eine Fläche mit naturbelassenen Kalkfelsen herausmessen, im zweiten nisteten Fledermäuse, und im
     dritten lebten geschützte Kalkmücken. Hätte ich als Vermesser keinen Kompromiss für diese Flächen gefunden, wäre der neue
     Betrieb an naturbelassenen Kalkfelsen, Fledermäusen und Kalkmücken gescheitert.«
     
    Ehe die zwei Vermesser an der roten Ziegelwand in Waltersleben mit ihrer Arbeit beginnen konnten, hatten sie, um deren Grundstücke
     betreten zu dürfen, vorschriftsmäßig alle Nachbarn informieren müssen. Inzwischen nieselt es. Ein Nachbar kommt vorbei und
     fragt, ob wir heißen Tee möchten. Er war früher Straßenwärter und weiß, wie schnell die feuchte Kälte des Herbstes in die
     Arbeitsklamotten kriecht.
    Bevor wir in sein Büro fahren, gebe ich Wolfgang Barthel mit klammen Händen den Feldbuchrahmen zurück. Das neugebaute Büro
     steht neben seinem Wohnhaus in Erfurt-Marbach. Er bleibt oft länger im Büro als seine acht Mitarbeiter. »Ich habe es ja nicht
     weit nach Hause.«
    In der oberen Etage hat er eine Pausenecke einrichten lassen. Auf den Tischen steht lediglich ein Glas mit Waldbeerenkonfitüre.
     Am Computer im Nachbarzimmer sitzt ein Lehrling, den der frühere Direktor der Betriebsberufsschule – »man kann es nicht lassen«
     – zum Vermesser ausbildet. Er zeichnet die Lage eines Erfurter Garagenkomplexes. Die privaten Garagen stehen
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