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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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einstweilen vor der Arbeitslosigkeit bewahren wollten. Unter anderen war Dr. Köhler, der damalige Vizepräsident
     des Deutschen Turn- und Sportbundes (der in diesem Jahr ein kontrovers diskutiertes Buch über den DDR-Leistungs sport und Doping veröffentlicht hat), dabei. Als Wolfgang Barthel damals den Funktionär fragte, was er nach dem Kurs machen werde,
     sagte der Vizepräsident des DT SB: »Vielleicht Vorsitzender einer Betriebssportgemeinschaftin Berlin.« Er konnte sich nicht vorstellen, dass es bald auch keine Betriebssportgemeinschaften mehr geben würde.
    »Und ich glaubte immer noch an einen Auslandseinsatz. Bis zu dem Morgen nach der Volkswahl vom 18. März. Ich war wie jeden
     Montag mit der sogenannten ›Bonzenschleuder‹ zum Kurs nach Berlin gefahren. Als ich gegen 9 Uhr auf dem Bahnhof Lichtenberg
     ankam – die Wahlergebnisse zur Volkskammer und der Sieg der CDU waren frühestens zehn Stunden zuvor bekanntgegeben worden
     –, stand dort an einem Hochhaus schon in großen Buchstaben: ›Seit wann seid ihr alle Christen, ihr geldgeilen Ärsche?‹ Da
     war mir klar, es geht nichts mehr.«
    Die Zeit nach der Wende:
»1991 wollten wir zu viert ein privates Vermessungsbüro in Erfurt gründen. Fünf Seiten Absichtserklärungen genügten damals,
     um 120.000 DM Kredit zu erhalten. Aber man musste mindestens 20.000 DM Eigenkapital nachweisen.« Wolfgang Barthel besaß kein
     Haus, nur einen Wartburg Tourist, der nicht mehr außendienstfähig war, aber ein Kollege aus Hochheim bei Wiesbaden (ein Gast
     zum »Tag der offenen Tür«) schenkte ihm seine ausgediente Messstation. Für die konnte Wolfgang Barthel noch 3.000 DM Eigenkapital
     angeben. Sie erhielten den Kredit. Und weil der dritte Mann seine Frau, auch eine Vermesserin, mitgebracht hatte und sie zwei
     Kinder ernähren mussten, zahlten die drei Männer wenigstens der Frau aus der eigenen Tasche ein Gehalt. Über so viel Solidarität
     schüttelten Kollegen aus Hessen den Kopf.
    Arbeit hatten die Vermesser damals genug. Eine geplanteFerngasleitung durch Thüringen war zu trassieren. 50 Kilometer vermaß Barthel mit seinen Leuten. »Täglich mindestens 12 Stunden
     gearbeitet. Keinen Urlaub. Selbst den arbeitsfreien Sonnabend, den die DDR eingeführt hatte, haben wir damals wieder abgeschafft.«
     Er überlegt einen Moment, dann sagt er: »Viele DDR-Bür ger haben 1990/91 in anderen Berufen genauso oder noch mehr geschuftet wie wir, aber sie sind als Freischaffende trotzdem an
     den neuen Bedingungen kaputtgegangen. Doch unsereiner, also ein Vermesser, musste sich zu der Zeit schon sehr dämlich anstellen,
     um kaputtzugehen.«
    In den Vermessungsbüros und Katasterämtern stapelten sich die Anträge auf Grundstückseinmessungen und Katasterauszüge. Bauboom
     und Investitionen wurden damals von fehlenden Grenzpunkten und Grundstückskoordinaten gebremst. Keine Bank gab Kredite für
     Investitionen an Häusern und auf Grundstücken, die der Besitzer nicht millimetergenau durch einen Katasterauszug als sein
     Eigentum vorweisen konnte. Zehntausende meldeten sich damals, denen angeblich Grund und Boden unter volkseigenen Minol-Pirol-Tankstellen,
     Neubaublocks und Gartenanlagen gehörte. Und in Thüringen stritten sich die Vermessungsberater aus Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz,
     von welchem der drei Länder die Thüringer ihre Vermessungsgesetze übernehmen sollten. Die Streitfrage damals: Dürfen private
     Ingenieurvermesser auch als öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (ÖbVI) Kataster machen, oder wird das nur wie in Bayern
     den Mitarbeitern der staatlichen Vermessungsämter gestattet?
    Als in Thüringen die Zulassungen für freie ÖbVI durch das Ministerium immer schwieriger wurden, trafen sich am 7. November
     1991 rund 800 Kollegen und Freunde des freien Vermessungsberufes in Erfurt zur ersten Demonstration in ihrer 30-jährigen Vereinsgeschichte.
     Der Vorsitzende des BDVI, Dr. Otmar Schuster aus Mülheim an der Ruhr, damals: »Der Scheideweg, an dem Thüringen steht, lautet:
     zentrale, sozialistische Struktur im bayrischen Gewand oder dezentrales Vermessungswesen mit Wettbewerb und Selbstbestimmung
     auf dem Wege nach Europa?«
    Obwohl der zu DDR-Zeiten in Erholungsheimen des MdI singende spätere Ministerpräsident Josef Duchač wie auch der danach aus
     Mainz gekommene Bernhard Vogel immer wieder gefordert hatten: »Wir wollen in Thüringen bayrische Verhältnisse«, gab es, was
     das Vermessungswesen und das Kataster
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