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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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Karten sehr oft. Durch diese Ungenauigkeiten werden Gerichtsprozesse
     geradezu heraufbeschworen. Und diese Überflieger werden unsere 150 Jahre alten Karten nicht besser machen als wir bodenständigen
     Vermesser. Im Gegenteil.« Er winkt ab.
    Weil ich den jungen Mann am Messinstrument inzwischen mit meinem Unverständnis nerve und immer wieder frage, wie er einen
     Satelliten im Weltraum anpeilen, daraus unseren Standort ermitteln und als Ausgangspunkt für alle im Grundstück zu vermessenden
     Bäume, das Plumpsklo, den Mauerverlauf und die Dachrinnen des Nebenhauses verwenden könne, versucht mir Wolfgang Barthel das
     Prinzip zu erklären.
    Es wären amerikanische Satelliten, die man auch für militärische Zwecke nutzen könnte. Mit Hilfe einer Atomuhr sei zwar eine
     unvorstellbare Genauigkeit derMessdaten möglich, aber damit kein Gegner die Koordinaten der Satelliten benutzen könne, habe man sie verschlüsselt, also
     verschoben. »Man muss zurückrechnen, um die exakten Koordinaten zu erhalten. Doch selbst das ist kein Schutz, denn überall,
     außer vielleicht bei den Taliban in Afghanistan, sind diese Daten inzwischen mit Computerprogrammen zu entschlüsseln.«
    Der Besitz der Koordinaten des gegnerischen Territoriums sei in militärischen Auseinandersetzungen schon immer wichtiger gewesen
     als die Kenntnis jeder kleinen Truppenbewegung. »Koordinaten verraten alles: jedes Haus, jeden Baum, jeden Flugplatz. Deshalb
     haben sie in der DDR größter Geheimhaltung unterlegen. Es gab keine übergreifenden Koordinaten, jedes Gebiet erhielt einen
     anderen Null-Punkt. Hier in Erfurt war es die Luther-Kirche und in Weimar der Ettersberg. Und beide Koordinatensysteme konnten
     nicht miteinander verbunden werden.«
    Allerdings wäre das nicht nötig gewesen. »Dieses kleine Land ist bestimmt das in der Welt am meisten aus der Luft aufgenommene
     und ausgemessene Gebiet. Schließlich besaßen die Alliierten die Überflugrechte und konnten jeden Winkel des Landes fotografieren.
     Nur solche Details wie die Tragfähigkeit von Brücken, also ob man da mit dem Panzer rüberkam oder nicht, konnte man nicht
     aus der Luft feststellen.« Der Wende sei Dank, wäre diese Zeit des Ausspionierens von Koordinaten vorbei.
    Später erfahre ich von Dr. Hoffmeister, der nicht nur die Gegenwart vermisst, sondern auch Experte der geodätischen Geschichte
     ist, dass bereits Friedrich II. seinerzeitbefahl: »Mein Land soll unvermessen bleiben!« Was dann doch nicht geschah, denn sein General von Schmettau, der gleichzeitig
     ein bekannter Kartograph war, erstellte nach dem Siebenjährigen Krieg ein sehr genaues Kartenwerk von Preußen. Alle militärisch
     wichtigen Ziele wie Bäume, Kirchen, Häuser und Berge waren in dem noch heute wertvollen Schmettau’schen Kartenwerk verzeichnet.
     Gegnerische Artilleristen konnten, wenn sie im Besitz der Koordinaten waren, ihre Geschütze zielgenau einrichten. Und vielleicht
     wurde Schmettau, der in der Schlacht bei Auerstedt die »Division Schmettau« kommandierte, ein Opfer seiner eigenen, genau
     vermessenen Koordinaten, als er von einer Geschützkugel getroffen wurde, sich schwer verwundet noch bis in das Haus der Frau
     von Stein schleppte, aber dann im Weimarer Schloss an seinen Verletzungen starb.
    Mittlerweile vermessen die zwei Geodäten gegenüber der Ziegelmauer die zweite Seite des Grundstückes. Dort steht das kleine
     Wochenendhaus des früheren Eigentümers wie schutzsuchend Wand an Wand mit dem großen Wohnhaus des Nachbarn. Wo die Grenze
     zwischen ihnen verläuft, wissen die Vermesser noch nicht. Wahrscheinlich sei aber, dass sich die Dachschräge und Dachrinne
     vom Nachbarn schon auf fremdem Gebiet befinden.
    »Dann darf der Hausbesitzer«, erklärt mir der Vermesser, »das Nachbargrundstück zwar in der Luft, also um die Regenrinne vom
     Dach aus zu säubern, ›betreten‹, aber das Regenwasser muss auf seinem Grund und Boden abfließen. Auf keinen Fall darf der
     Hausbesitzer, wenn es der böse Nachbar nicht will, auf dessen Grundstückeine Leiter zum Saubermachen der Regenrinne anstellen. In solchen Fällen verklagen sich manche Hauswand an Hauswand lebenden
     verfeindeten Parteien vor Gericht zu 1.000 Euro und mehr. Bei der Grenzziehung zwischen Grundstücken befindet sich heute vieles
     noch im rechtsfreien Raum. Das bringt Bürgern und Behörden viel Ärger, aber den Rechtsanwälten, die die Streitenden vertreten,
     sehr viel Geld ein.«
    1910 und 1930 sind die
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